Girlfriend in a Coma
sauber, dick und stark. Die Flasche am Hals, überquerte ich ihn, und als ich auf der anderen Seite war, kam mir die Idee, die Trampelpfade des Canyon entlang zur Rabbit Lane zu wandern und mich, dort angekommen, entweder bei Lois und George oder bei Linus und Wendy auf die Türschwelle zu pflanzen. Ich hatte seit Jahren nichts getrunken; ein paar Babyschlückchen von dem Scotch reichten schon, um mich zu diesem anderen Ort zu bringen, an den ich mich sehnte.
Ich stolperte einen steilen Pfad hinunter. Die Welt um mich herum, die Bäume und die Luft waren so still, als warteten sie darauf, mich anzuspringen und »Überraschung!« zu brüllen. Perlmuttblaue Wolken beleuchteten meine Schuhe, die an Baumwurzeln hängenblieben; meine Hände zerdrückten zartes Herbstlaub. Aus meinem Mund entwichen Dampfschwaden, die sich sofort wieder in Luft auflösten, wie der Gedanke an einen Gedanken an einen Gedanken. Ich sah die Geister alter Holzfällerzüge vor mir, die hier einst vorbeifuhren. Die Natur fing jetzt, neunzig Jahre später, gerade erst an, sich zu erholen, ohne sich des sterilen Vorstadtviertels darüber bewußt zu sein, der Auffahrten und Blumen und Geschirrspüler und Vogelhäuschen. Scheinbar große Bäume verblaßten gegenüber den mächtigen, uralten Baumstümpfen, aus denen sie wuchsen.
Ein paar Schlucke später war ich unten bei der Lachsfarm, einer Fischzuchtanlage, die in den Siebzigern gebaut worden war, um dem Pazifiklachs die Fortpflanzung zu erleichtern. Wie vorhin der Damm schimmerten auch die Laichplätze im Mond aluminiumweiß. Es waren rechteckig geformte Irrgärten aus Beton, wadentief mit kaltem Wasser gefüllt. Sie sahen aus wie auf die Seite gelegte Bürohochhäuser. Jugendliche Lachse bummelten durch das Betonlabyrinth wie die gelangweilten Besucher eines Vergnügungsparks. Noch ein Schluck, und schon war ich unterhalb der Lachsfarm, allein, während im Morgengrauen das Sonnenlicht in den Himmel zu tröpfeln begann. Da kein Wasser vom Damm herunterfloß, hatte sich der Fluß in eine Perlenkette aus dunklen Tümpeln verwandelt. Ich hatte bereits meinen Gleichgewichtssinn verloren und taumelte über das Gestein des Flußbetts. Die Scotch-Flasche zerbrach. Und im gleichen Moment traf mein Blick auf eine Wasserfläche hinter einem Felsen, eine große, tiefe Gumpe. Dort sah ich tausend Lachse, die darauf warteten, ihre Eier abzulegen, unfähig, den Fluß hochzuschwimmen, zusammen gefangen, dieser Klumpen von auberginefarbenen Lachsen, deren einziger Wunsch, deren einzige Sehnsucht es war, nach Hause zu ziehen. Diese Lachse wuselten in dem stillgelegten Becken herum - ein tiefschwarzes, wollüstiges Hirn, an den Rändern flirrend wie schwarze Apfelblüten. Die Fische träumten von Sex und von dem Tod, der danach kommt.
Der Whiskey haute mich um. Ich mußte mich übergeben, und so wandte ich mich ab und kotzte auf einen Geröllhaufen. Wie bei einem Himmel-und-Hölle-Spiel hüpfte ich auf den Steinen ein Stück weiter den Fluß hinunter, trat daneben, fiel hin und prallte mit dem Kopf auf einen Felsbrocken. Benommen legte ich mich auf den Bauch, stützte den Kopf auf und schaute ins Wasser. Der Himmel wurde hell, und ich rieb mir den Schädel.
Ich betrachtete den blaßblauen Himmel. Ich sah Bäume, die die Farbe von Karens Augen hatten. Eine Möwe kreischte, ein Reiher sprang auf, und Wasser tröpfelte herab. Ein Gedanke von früher fiel mir wieder ein: Als ich noch klein war, sorgte mein Vater immer dafür, daß die ganze Familie einmal im Jahr die Mörderwale im Stanley Park Aquarium besuchte. Das war seine Art, uns daran zu erinnern, daß unsere Stadt am Meer lag und wir nur durch die Gnade der Natur dort leben durften. Das Aquarium war damals noch nicht so gut besucht wie in späteren Jahren; man konnte die Tierpfleger ohne weiteres fragen, ob man die Wale berühren durfte - ihre strahlendweißen Hautflecken, ihre schwarzen, stahlharten Rückenflossen und ihre bohrerspitzen Elfenbeinzähne, die eine fleischige, saubere, rosafarbene Zunge von der Größe einer Tischplatte umgaben, während sie mit einem Schluck einen ganzen Eimer platinfarbener Fische verschlangen. Zehn Jahre später, als ich selbst an der Reihe war, mit Megan die Wale zu besuchen, mußte ich feststellen, daß sie der Ansicht war, Wale in einem Zoo zu halten sei grausam - ein Tiergefängnis. Sie begann, aufmerksam jede Zeitungsnachricht über gefangene oder freigelassene Wale zu verfolgen, was mich an mich selbst erinnerte. Eine
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