Girlfriend in a Coma
pervers. Bittet sie einfach zu warten. Ich komme wieder.«
Megan gibt Karen einen Kuß auf die Wange und legt sich dann wieder neben ihre Mutter.
Jetzt kontrolliert Wendy Karens Werte. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen ist alles in etwa so normal, wie es nur sein kann. Megan preßt sich wie ein Indianerbaby an Karens Rücken. »Guck mal - ich hab' deine Fingernägel«, sagt Megan. »Und auch deine Haare. Na ja, deine sind ja jetzt grau. Wir werden sie zusammen färben. Meine Freundin Jenny ist Expertin für so was.“
»Warum trägst du Schwarz?« fragt Karen. Megan fühlt sich plötzlich unreif. Sie will ihrer Mutter nicht sagen, daß sie sich als den Tod sieht - als Ursache für sehr viel Düsternis. »Das war bloß eine Phase. Jetzt ist sie vorbei.«
Linus sitzt glücklich und zufrieden auf einem Stuhl neben dem Bett. Er fand die Welt immer grausam, und er denkt an die Wüsten, die er durchwandert hat, an die endlosen beschissenen kleinen Käffer und all die Schäbigkeit, und jetzt erblüht hier, sozusagen aus dem Nichts, eine Blume. Solche Momente sind sehr rar, so rar wie ein Rubin, den man in den Eingeweiden eines Lachses findet, wie es ihm in seiner Kindheit einmal passiert ist. Dieser Rubin - das war nur ein Stück Plastik von einem Rücklicht, das er beim Ausnehmen des Fisches auf den Docks oben am Pender Harbour fand, aber für Linus war es ein Rubin.
Karen versucht wach zu bleiben und ihr neues Bewußtsein auszukosten. Sie ist froh, Freunde in ihrer Nähe zu haben und ihre Tochter, die wie durch ein Wunder neben ihr liegt und redet. Das Personal ist weggescheucht worden, und zwischen den vieren im Zimmer herrscht eine eigenartige Spannung - ein gemeinschaftliches Schwindelgefühl, ein Schwindel, der daher rührt, daß sie ein emotionales Erwachen miterlebt haben, nicht unähnlich dem Schmelzen der Niagarafälle, als Eisschollen sich in dicken, herrlichen Blöcken von den Schieferschichten lösten. Die Menschen im Zimmer fühlten sich verzaubert - auserwählt. »Wir müssen dich so bald wie möglich verlegen, Karen. Die Medienlandschaft hat sich seit 1979 ganz schön verändert, und wir wollen nicht, daß sie sich wie die Geier auf dich stürzen.« Wendy greift zum Telefon. »Ja. Voll. Normal. Sofort. Ja. Ja. Eine halbe Stunde. Versuchen Sie es einfach. Danke.«
Richard ist nicht mehr betrunken. Er ist ein silbergekleideter Astronaut, der einen Erdwall hochklettert, dessen Boden nährstoffreich, bröckelig und feucht wie Hundefutter ist. Er gelangt zur Capilano Road und trottet dann zügig durch die Straßen und über die Grünflächen. Er zählt die bunten ausgebrannten Feuerwerkskörper und Kürbisschädelfragmente zu seinen Füßen. Über ihm geht an einem Himmel von der Farbe einer Navel-Orange die Sonne auf. Fruchtig. Richard marschiert den Edgemont Boulevard bis nach Delbrook entlang und überquert dann die Westview-Autobahnbrücke in Richtung Süden. Ein Taxifahrer, der Dienstschluß hat, bremst und fragt, ob er ihn mitnehmen soll, und bald steht er vor dem Krankenhaus, wo die Übertragungswagen der Lokalnachrichten parken. Allein sein Kostüm stellt ein weiteres Kuriosum an diesem sowieso schon außergewöhnlichen Tag dar. Er sieht eine Kamera-Crew und Presseleute, die sich schweigend vor den Aufzügen drängeln. Eine Krankenschwester, die Richard seit über zehn Jahren kennt, läßt ihn in den Lift. Jemand fragt: »He, wer ist der denn?“
»Das ist ihr Freund. He, Sie - Freund - was können Sie uns sagen?«
Richard steigt auf Karens Etage aus. Die Schwestern erkennen ihn und halten gespannt den Atem an, als er den Korridor entlanggeht, silbern, energiegeladen und heiter, tief luftholend, wie ein Astronaut es auf einem fremden Planeten wohl tun mag. Er hört seinen Atem in seiner Brust. Als er das Zimmer betritt, findet er dort Wendy und Linus vor. Sie lächeln und verlassen höflich den Raum. Richard küßt Karen auf den Mund.
»Hey, Beb. Da bin ich wieder«, sagt Karen.
»Hi, Schatz. Willkommen daheim«, sagt Richard. »Du hast mir so gefehlt.« Er kniet sich vor sie hin und küßt sie noch mal.
Schweigen. Mit der ganzen Versunkenheit zweier Menschen im Rausch der ersten Liebe sehen sie einander in die Augen. »Sie haben mir nicht erlaubt, in den Spiegel zu gucken, Richard. Ich weiß, ich sehe aus wie ein Rattenarsch.“
»Du bist schön.«
»Schmeichler. Das war's wohl mit Hawaii.«
»Ich sehe, du hast unsere Tochter schon kennengelernt.«
Megan stützt sich neben
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