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Girlfriend in a Coma

Girlfriend in a Coma

Titel: Girlfriend in a Coma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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meiner gelegentlich auftretenden Kindheitsängste hatte darin bestanden, darüber nachzugrübeln, wie ein Wal, der in Gefangenschaft geboren und aufgewachsen war, sich fühlen mußte, wenn er in die freie Natur entlassen wurde - ins Meer seiner Vorfahren. Seine begrenzte Welt würde mit einemmal aus den Fugen geraten, wenn er in den unfaßlichen Tiefen ausgesetzt würde, fremdartige Fische sähe und neues Wasser schmeckte, ohne überhaupt eine Vorstellung von Tiefe zu haben, ohne die Sprache irgendwelcher seelenloser Wale zu kennen, die er womöglich traf. Es war meine Angst vor einer Welt, die sich plötzlich, brutal und ohne Regeln und Gesetze ausdehnt: Luftblasen und Tang und Stürme und schreckenerregende Massen von Dunkelblau, die kein Ende nehmen wollen. Ich erwähne das, weil ich gerade darüber nachsinne, was als nächstes in meinem Leben geschah, und über die Veränderungen, die folgten. Ein Vogel tirilierte über mir. Ich blinzelte und hielt einen Moment lang inne, und dann weinte ich, denn ich wußte, daß im gleichen Moment drei Meilen entfernt in einem kryptaähnlichen Krankenhauszimmer auch Karen blinzelte - daß sie nach 6719 Tagen des Schlafs gerade erwacht war.

TEIL 2

  15
Keine Kaiserkinder
    Stell dir vor, du hast aus irgendeinem unerfindlichen Grund begonnen, Schlag auf Schlag dein Gedächtnis zu verlieren. Du weißt zum Beispiel nicht mehr, welcher Monat gerade ist oder was für ein Auto du fährst, welche Jahreszeit herrscht, was für Lebensmittel du im Kühlschrank hast oder wie die Namen der Blumen lauten. Schnell, ganz schnell friert dein Gedächtnis ein - ein winziger, makelloser Eisberg, in dem alle Erinnerungen gefroren, eingeschlossen sind. Deine Eltern. Dein Geschlecht. Dein Name - alles ist in einen stummen Eisblock verwandelt. Du bist frei von Erinnerungen: Jetzt siehst du die Welt mit den Augen eines Embryos; ohne etwas zu wissen, kannst du nur sehen und hören. Dann schmilzt das Eis plötzlich, und dein Gedächtnis beginnt zurückzukehren. Das Eis schwimmt auf einem Teich - es taut, und das Wasser erwärmt sich, Seerosen wachsen aus deinen Erinnerungen, und Fische wuseln dazwischen herum. Du bist du.
    Und nun zu Karen, die siebzehn Jahre, zehn Monate und siebzehn Tage lang geschlafen hat. Über sie gebeugt steht eine Krankenschwester, die ihren J-Schlauch wechselt. Diese Krankenschwester wechselt seit zwölf Jahren J-Schläuche. Sie blickt auf Karen hinunter und empfindet nichts. Sie denkt an andere Dinge - an ihre Chorprobe am Abend, an einen Wollmantel, den sie an der Bay im Sonderangebot gesehen hat.
    Die Schwester weiß, daß Karen höchstwahrscheinlich in Kürze an ihrer Lungenentzündung sterben wird - keine lebensverlängernden Maßnahmen. Wirklich? Sie scheint sich ziemlich gut von der Krankheit, wegen der sie hier ist, erholt zu haben. Die Schwester hält inne und sieht sich Karen genauer an: Armes Ding - diesmal hätte sie fast den Löffel abgegeben. Zurück ins Inglewood, und was dann? Lieber tot als lebendig. Keine Liebe, keine Vergangenheit, keine Zukunft, keine Gegenwart, kein Sex. Wie traurig. Nur ein halber Mensch. Doch auch jetzt noch, siebzehn Jahre später, sieht man Karens Knochen ihre Schönheit noch an. Was sie alles im Leben versäumt hat! Die Schwester wendet den Blick von Karens Gesicht und kümmert sich wieder um den J-Schlauch.
    Dann hört sie eine Stimme, sanft, rauchig, mädchenhaft und direkt, wie Bimssteine, die gegeneinander reiben: »Hallo.« Die Schwester schaut hoch. Karen krächzt noch einmal hallo. Die Schwester sieht Karens Augen - klar und grün wie Moos, Schlaf verkrustet die Winkel. Sie sieht, wie Karens Truthahnhals auf dem Bett zur Seite rollt. Karen bewegt sich nicht, aber sie spricht: »Das kitzelt.«
    Die Schwester sagt: »O Gott! O ... Gott! «, dann stürzt sie aus dem Zimmer. Sie läuft los, um die diensthabende Ärztin zu holen - Wendy, Dr. Chernin. Krankenschwester, kommt der Gedanke. Karen denkt: Das war eine Krankenschwester. Ich bin in einem Krankenhaus. Ich ... Moment: Wer bin - ich? Ich bin Karen ... Wo bin ich? Wie spät ist es? Ihre Benommenheit verflüchtigt sich jedoch schnell; sie spürt, wie ihr Hirn in Fahrt kommt und dann wieder Fehlzündungen hat wie ein zickiger Camaro. Das letzte, woran Karen sich erinnert, ist, daß sie mit Wendy und Pam draußen vor einer Party am Eyremont Drive stand - das ganze Haus wurde auf den Kopf gestellt, eine blöde Party. Vorher war sie mit Richard Ski laufen gewesen. Sie hatten

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