Girlfriend in a Coma
ihrer Mutter auf einen Ellenbogen.
»Hey, Dad.«
»Hey, Süße.«
Ein verlegenes Schweigen folgt. »Das ist doch blöd«, sagt Megan. »Komm schon. Spring rauf. Komm an Bord. Es ist gerade noch genug Platz.«
Richard öffnet das Oberteil seines Astronautenanzugs und zieht es aus. Es schält sich bis zu seinem Bauchnabel von seinem Körper wie eine Bananenschale aus Chrom. Er klettert aufs Bett, und Karen wird zu einem menschlichen Hot Dog, auf der einen Seite eine Hexe, auf der anderen ein Astronaut. Es kommt ihr vor, als säßen sie alle in einem Ruderboot und würden an einen neuen Ort gespült. Das hier ist ein Traum und doch auch wieder nicht. Richard hat das Gefühl, als wäre er in seinem Herzen auf eine Goldader gestoßen, auf einen Klondike von Emotionen, die er längst verschüttet geglaubt hat.
Karen sagt: »Du riechst nach Schweiß, Richard.« Richard entgegnet: »Ich bin zu Fuß vom Cleveland Dam hierhergekommen.« Pause. »Das ist eine lange Geschichte.“
»Wir sind jetzt alle müde, stimmt's, Leute?« sagt Karen. »Wollen wir schlafen?«
Das wollen sie tatsächlich, denn ihnen wird bewußt, wie erschöpft sie sind - vom Laufen, vom Hoffen, vom Warten, vom Verlust des Glaubens und davon, ihn wiedergefunden zu haben. Richards Arm liegt unter Karens Kopf. »Ja, laßt uns schlafen. Es hat so lange gedauert. Und wir sind müde.«
»Seht uns an«, flüstert Megan den beiden zu, erfüllt von einem Glücksgefühl, das sie lange Zeit ausschließlich für kleine Tiere, Geburtstagstorten und Achterbahnen reserviert hatte: »Wir sind eine richtige Familie. Endlich. Und für immer. Und ich bin nicht mehr der Tod, nicht wahr, Dad?« Richard flüstert zurück: »Nein, aber das warst du auch nie.« Und die drei treiben dem Schlaf entgegen. »Und was hat es mit den Kostümen auf sich?« fragt Karen beinahe unhörbar, bevor sie einschläft. »Kostüme? Was für Kostüme?« fragen Megan und Richard in Stereo, während sie mit Karen in einem Boot dahingleiten, das nicht kentern wird.
16
Die Zukunft und das Leben nach dem Tod sind völlig verschiedene Dinge
Stereo.
Einige Stockwerke entfernt treten Hamilton und Pam gerade in eine neue Bewußtseinsphase ein. Ihre Hirne sind zwar zu angegriffen, um Bilder zu generieren, doch sie können Wörter, Geräusche und Musik hören. Ein Chor. Klänge, wie vom Himmel gesandt: süß, verführerisch und schwelgerisch. Worte. Beim Anblick ihrer Körper dort auf der Intensivstation würde niemand auf die Idee kommen, daß sich in ihren Köpfen ein solches Konzert abspielt. Oranges and lemons, say the bells of Saint Clement...
Und dann, aber erst nachdem die Musik ihren Höhepunkt erreicht hat, beginnen Bilder zu erscheinen - eine Diashow: eine Autobahn in Houston, leer bis auf den einen oder anderen geparkten Wagen; ein schlammiger Regen, der auf die Häuser in den Vororten Tokios fällt; brennende afrikanische Steppen; indische Flüsse, dickflüssigen Eintöpfen ähnlich, die Leichen und Seidenstoffe meerwärts spülen; ein Uhrenthermometer auf dem Dach eines Chrysler-Händlers in Florida, auf dem 00:00/60° blinkt.
Derweil beobachtet eine diensthabende Krankenschwester die beiden Patienten. Irgend etwas stimmt nicht. Ist merkwürdig. Nicht richtig. Und dann wird der Schwester klar: Der Entgiftungsprozeß der beiden Patienten verläuft in Stereo. Ihre Köpfe schnellen einträchtig hin und her, auf und ab. Sie zucken gemeinsam - ein einstudierter Totentanz. Sie ruft eine andere Schwester, die das Geschehen mit der Videokamera ihres Bruders festhält, die sie am Nachmittag zurückgeben wollte.
Ein oder zwei Minuten später nimmt Hamiltons und Pams Synchronvorstellung an Heftigkeit zu. Spastische Armbewegungen und Beinzuckungen treten auf. Die Anzeigen auf ihren Monitoren, die jetzt wilde Sprünge machen, gleichen einander wie ein Ei dem anderen.
Und dann ist der Tanz vorbei. Die Patienten fallen wieder in ihren alten, individuellen Schlaf, und das Video wird für später aufbewahrt.
Damit hatte niemand gerechnet.
Lois navigiert den Buick, als wäre er ein schwerfälliger Vergnügungsdampfer. Sie schaltet mit geübter Hand. George sitzt hemmungslos weinend neben ihr. Der heutige Krankenhausbesuch ist so bedeutungsschwer, daß die beiden sich nicht in der Lage sehen, miteinander zu kommunizieren abgesehen von gegrunzten Kurzformeln (Sicherheitsgurt an? Ja. Gut.) Ihre Hoffnungen haben einen allzu großen Satz nach vorn gemacht, und wie sollte es auch anders sein? Vor
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