Girlfriend in a Coma
keine Luft mehr bekam, während sie sich das anschaute. Sie ging in die Küche, blieb am Schneidbrett stehen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, aber die Tränen brachen sich Bahn, und sie fiel zu Boden, eine Tränenpfütze in der rechten Hand. Die Küche war dunkel und das Linoleum kalt, aber George kam herein, sagte: »Schhh, Liebes« und nahm sie in den Arm. Sie saßen zusammen auf dem Küchenfußboden, während im Hintergrund der Fernseher lief. Ein Stoppschild.
Lois denkt an Karen - daran, wieviel von sich selbst sie in Karen gesehen hat, ohne sie es je wissen zu lassen. Karen, die so smart war. So quicklebendig. Lois erinnert sich, wie sie sich fühlte, nachdem Karen ins Koma gefallen war - trocken und hohl wie die leeren Blumenkübel aus Plastik in der Garage. Lois denkt an die Fehlgeburten, die sie hatte, vor allem Megan die Erste, geboren 1970, die bei ihrem Abgang irgendeinen kleinen, aber maßgeblichen Teil von Lois mit sich nahm. Lois fühlte sich danach wie ein Auto ohne Zündschlüssel.
Und sie denkt an Richard - was war er für ein Dummkopf am Anfang, als Megan geboren wurde. Dann wurde er zum Säufer. Und er wechselte wieder und wieder den Beruf. Keine Beständigkeit. Erst in letzter Zeit kommt Richard ihr wie ein richtiger Vater vor. Er scheint ausgeglichener zu sein. Er ist nicht mehr so töricht wie früher. Er versucht, erwachsene Entscheidungen zu treffen. Er ist vernünftig. »Nein, George«, hatte sie letzten Monat gesagt, »er hat zwar immer noch nicht alles im Griff, aber er ist auf dem richtigen Weg. Das hoffe ich zumindest.«
Kamerateams des Lokalfernsehens samt Beleuchter drängeln sich in der Lobby des Krankenhauses und auf dem Besucherparkplatz. Übertragungswagen mit Satellitenschüsseln stehen herum, Nachrichtenreporter werden geschminkt ein gemächlicher, aber planvoller Zirkus. Da George und Lois den Grund für dieses Getümmel kennen, schlüpfen sie instinktiv in einen Seiteneingang, den George in all den Jahren manchmal benutzt hat. Sie huschen Korridore entlang und laufen einer Krankenschwester in die Arme, die vor Freude, sie zu sehen, strahlt. Sie eskortiert sie zu Karens neuem Zimmer. »Was für ein Wunder«, sagt die Schwester. »Ich hab' noch nie ... also, ich bin sicher, Sie wissen, was ich meine.«
Vor der Tür des Zimmers wieseln Menschen hin und her. George und Lois erblicken Wendy und gehen schnurstracks auf sie zu. Wendy lächelt. »Sie macht gerade ein. Nickerchen. Kein Koma. Bloß ein Nickerchen. Richard und Megan liegen bei ihr im Bett, aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Das tut ihr gut. Sie braucht jemanden, der sie im Arm hält. Ich habe angeordnet, daß außer den Familienmitgliedern niemand zu ihr gelassen wird. Sie haben die Meute da unten ja gesehen.«
Geräuschlos erwacht Karen aus ihrem Schlaf. Sie hört Wendy drüben neben der Tür telefonieren. Sie sieht und spürt zu beiden Seiten Richard und Megan neben sich, ihren Atem, ihre Hitze. Wie ist das passiert? Warum bin ich jetzt hier? Siebzehn Jahre. Puh. Hat sich die Welt sehr verändert? Hat die Welt sich verändert, oder habe ich mich verändert? Richard sieht nicht mehr süß aus - er ist jetzt ... attraktiv und behaart, sehr viel kräftiger, ais er noch ... gestern nacht war? Er ist jetzt ein Mann. Größer. Ein Mann. Gutaussehend, aber - ein Mann, kein Teenager. Er riecht anders als letzte Nacht, nein genauso, aber intensiver. Und dann Megan. Eine Tochter? Ein Traum! Aber letzte Nacht war ich noch jung und lebendig. Megan riecht wie irischer weißer Mais, frisch vom Kolben, ein süßer Duft der Jugend. Karen fragt sich, ob Megan und Richard Freunde sind. Mag Megan Mom? Vielleicht. Vermutlich nicht. Mom macht es den Menschen sehr schwer, sie zu mögen. Warum tut sie das? Mein Bauch tut weh, denkt sie. Und außerdem juckt er. Krämpfe. Hunger. Ein Schlauch in meinen Magen. Widerlich. Habe ich all die Jahre meine Tage gehabt? Und jetzt? Werde ich feste Nahrung zu mir nehmen können? Jetzt bin ich weniger als ein Baby. Ich bin ein Fötus. Warum ist mein Verstand so wach, so klar?
Karen versucht einen Arm zu bewegen, doch diese Anstrengung ist mit Höllenqualen verbunden. Ihre Nase juckt, aber ihre Sehnen sind zu untrainiert, als daß sie hinfassen und sich kratzen könnte. Ihr Körper ist zwar unversehrt, aber entsetzlich eingerostet. Ihr Kiefer schmerzt, und sie kommt sich vor wie ein gefällter Baum. O Mann, bin ich hinüber. Mein Körper! Moment mal - das geht zu weit. Darum kann ich
Weitere Kostenlose Bücher