Girlfriend in a Coma
mir jetzt keine Sorgen machen. Sie ist bewegungsunfähig, aber hellwach, und sie ist neugierig. Sie schließt die Augen und öffnet sie wieder und kann alles, was sie sieht, kaum glauben. Sie will nicht mit Fremden reden. Sie will, daß es Sonntagmorgen ist. Sie will, daß es einfach irgend ein normaler Tag ist. Das muß man sich mal vorstellen - all die anderen Menschen auf der Welt waren siebzehn Jahre lang wach! Wendy verläßt den Raum; von draußen hört man Lärm; sie kommt mit einem Telefon zurück - ohne Schnur -, und als sie merkt, daß Karen aufgewacht ist, bittet sie sie, Mom und Dad zu begrüßen, was Karen merkwürdig vorkommt, denn schließlich hat sie sie erst gestern abend gesehen. Nach dem Telefonat hat sie Wendy gefragt: »Welches Jahr haben wir noch mal, Wendy?«
»1997.«
»Oh. Au wei.«
»Karen, ich möchte dich um einen Gefallen bitten.« Wendys Stimme klang betreten. »Hamilton und Pam sind wirklich sehr krank, aber sie werden bald wieder gesund. Sie brauchen etwas, das ihnen Hoffnung gibt.“
»Sie sind hoffnungslose Fälle?«
»In gewisser Weise. Sie haben keine Hoffnung. Das ist eher ein psychisches Problem. Kann ich sie zu dir heraufbringen? Das wird ihnen helfen.“
»Und sie nehmen wirklich Drogen?«
Drogen nehmen - was für ein altmodischer Ausdruck. »Ja. So albern es auch klingt. Drogen sind heutzutage anders. Das wirst du alles bald herausfinden. Wie fühlst dü dich?“
»Phantastisch wach. Sie haben eine Überdosis genommen?“
»Ja.«
»Bring sie her - ich will jede Menge Leute um mich haben. Aber nur Leute, die ich kenne.“
»Deine Mom wird nicht sehr begeistert sein.“
»Mit der werd ich schon fertig.« Sie schnalzt mit den Lippen. »Kann ich einen Schluck Wasser haben?« Wendy eilt mit einem Glas in der Hand herüber. Karen bemerkt ihren Ehering. »Danke. Wie lange bist du schön mit Linus verheiratet?«
George und Lois stoßen lautlos die Tür auf. Im Zimmer ist es schummrig. Die Eltern erschrecken, als sie Megan und Richard dort bei ihr auf dem Bett liegen sehen - unorthodox, aber schließlich sind Krankenhäuser nicht mehr die Zitadellen stumpfer Grausamkeit und Einsamkeit, die sie früher waren. Richard schnarcht, und Megan atmet warm. Und da ist Karen. Ihre Augen sind offen, und sie lächelt. »Hi, Mom. Hi, Dad«, sagt sie halblaut. »Psssst die Kinder schlafen.« Ihr Kiefer schmerzt.
Ihre Stimme! Sie ist wieder da! George küßt schluchzend Karens Wangen, ohne sich seiner Theatralik bewußt zu sein. »Hi, Dad.« George überläßt sich seinen Gefühlen, während Karen lächelt und über seine Schulter hinweg fröhlich die Augenbrauen in Richtung Lois hochzieht. Karen zwinkert.
Es fällt ihr schwer, sentimental zu werden, denn ihr kommt es so vor, als habe sie seit 1979 nur ein kurzes Schläfchen gehalten.
In diesem Moment erwacht Richard. »Hi, George. Oh. Entschuldigt bitte. Hier. Oh. Ich geh' schon aus dem Weg. Ich muß hier bloß wieder runterkommen. Lois. Hi -« Richard klettert vom Bett. Das Oberteil seines silbernen Astronautenanzugs schleift hinter ihm her wie ein Biberschwanz. George umarmt Richard. Lois hat die ganze Zeit Abstand zum Bett gehalten. Sie drückt ihre Handtasche an ihre Brust. Sie kommt näher. Sie sieht ihrer Tochter in die Augen. »Hey, Mom«, sagt Karen.
Es folgt ein Schweigen. »Hallo, Karen.« Noch ein Schweigen. »Willkommen daheim.« Lois gibt Karen ein Küßchen. George und Richard halten den Mund. Karen sieht, daß die Zeit kaum Spuren bei ihrer Mutter hinterlassen hat. Ein paar graue Haare hier, ein Fältchen dort - die Haltung und die Stimme sind zeitlos. »Du siehst so gut aus wie eh und je, Mom«, sagt Karen.
»Danke, Liebes.« Lois hat Karen jetzt seit fast einem Jahr nicht mehr besucht. Es fällt ihr schwer, über Karens Verfall hinwegzusehen. »Kannst du schon essen, Süße? Hast du Hunger?« Schon haben die alten Spielchen um die Nahrungsaufnahme wieder angefangen. »Ich habe dir eine Eulenfigur mitgebracht, um dich aufzumuntern.“
»Danke.« Es ist, als wären gar keine siebzehn Jahre vergangen.
Megan berührt ihre Mutter, umfaßt ihren Nacken und massiert ihn mit ihren Händen. Karens graue Haare hängen schlaff und traurig herab. Sie sind mit einer stumpfen Schere geschnitten worden; Megan hält sie sich an die Nase, und die Haare riechen staubig und süß. Ihr ganzes Leben lang ist sie sich vorgekommen wie verhext, als würden alle Menschen um sie herum ein böses Ende nehmen. Auch Richard hatte
Weitere Kostenlose Bücher