Girlfriend in a Coma
elektrische Licht wieder an. Die Nachrichten, die krächzend aus dem Radio dringen, überraschen niemanden mehr: Alle Einrichtungen, in denen Menschen tätig sind, haben den Betrieb eingestellt - Krankenhäuser, Dämme, das Militär, Einkaufszentren. Alle Maschinen sind abgeschaltet. Sie schauen sich noch einmal die CNN-Videos an, die Karen am Nachmittag aufgenommen hat, bevor der Strom ausfiel. Und wieder erbleichen Pam und Hamilton beim Anblick der Fernsehbilder, die ihnen an Halloween in Stereo erschienen sind: Dallas, Indien, Florida ... Sie haben keine Ahnung, wie sie sich das erklären sollen. In jener Nacht Schlaf zu finden ist nicht einfach. Helikopter rasieren die Bäume, ein Militärjet bombardiert den Berg und stürzt dann irgendwo in der Nähe von Park Royal ab. Sie bringen Wolldecken und Federbetten nach unten, zünden den Kamin an, und alle richten sich dort ihr Lager. Eine unausgesprochene Übereinkunft, keine Angst zu zeigen, herrscht zwischen ihnen. Doch trotz der Angst ist Richard ganz aufgedreht wegen der unglaublichen Veränderungen, die an diesem Tag stattgefunden haben. Den übrigen geht es nicht anders. Richard muß daran denken, wie er vor ein paar Jahren auf der Port-Mann-Brücke Zeuge eines Auffahrunfalls auf der anderen Straßenseite wurde, an dem fünf Wagen beteiligt waren - damals empfand er die gleiche Mischung aus dem Gefühl, auserkoren zu sein, und einem wohligen Schaudern. Er muß daran denken, wie er in der dritten Klasse als einziger nicht die Grippe bekommen hat. Bevor das Licht gelöscht wird, fragt Linus, ob ihm jemand helfen kann, Wasserproben zu sammeln, um sie mit dem Geigerzähler zu untersuchen. Man kann Schatten von Nachbarn sehen, die hinaus in den Regen gehen, während die quäkenden Laute der Strauße ein Stück weiter den Block hinunter zu hören sind.
Karen weiß noch genau, in welchem Moment die Große Veränderung ihren Anfang nahm. Sie saß allein im Fernsehzimmer und wartete auf die CNN-Mittagsnachrichten. Sie war verärgert, ruhelos und gelangweilt zugleich und kam sich außerdem etwas albern vor, weil sie Richard davon hatte abhalten wollen, nach Kalifornien zu fliegen. »Karen, hör auf, deswegen so einen Aufstand zu machen«, hatte Richard bei einer der vielen Streitereien über das Thema gesagt. »Nichts wird passieren. Wenn ich nicht nach Los Angeles fliege, verleihe ich deiner Paranoia doch nur Macht.«
»Hä?« Karen erinnerte sich, daß moderne Menschen gelegentlich in ein seltsames Kauderwelsch aus emotionsgeladener Phrasendrescherei und schlichtem Unsinn verfallen. »Richard, ich erzähle dir nur, was ich in meinem Innern gesehen und gehört habe.«
»Bitte, Karen, mach es mir doch nicht noch schwerer bitte.«
Und so flog Richard nach Los Angeles. Lois war einkaufen gefahren, und George arbeitete unten in der Autowerkstatt; Megan war mit Jenny ausgegangen; und die Mitglieder der Clique hielten sich alle irgendwo draußen auf, an dem einen Tag, an dem sie das - da war Karen sicher - nicht tun sollten. Sie fröstelte. Sie hatte drei Pullover an und ein Paar von Richards grauen Arbeitssocken; ihre Beine taten ihr an jenem Morgen weh und ließen- sich nur schwer bewegen. Sie schaute lustlos CNN und versuchte dabei, eine Thermoskanne mit Kaffee aufzuschrauben. In diesem Moment wurde das Fernsehbild unscharf und grisselig und leuchtete dann grellweiß auf. Sie schaute hoch und ließ die Thermoskanne fallen. Andere Lampen im Fernsehzimmer sowie in der Küche flackerten hell und brannten dann aus, während das gesamte Haus polterte und schwankte, als wäre es ein Boot, das unfachmännisch festgemacht wird. »Du bist es«, sagte Karen. »Du. Endlich bist du hier.«
Zu ihrer Rechten klirrte die Glastür zur Terrasse, und sie konnte zusehen, wie der Riegel ganz von selbst aufging klack. Mit einem rostigen, trockenen Quietschen glitt die Scheibe in der Bodenschiene zurück, und der Regen fegte einen Schwall brauner Blätter herein. Karen begann, durch den Raum zu robben, ein Läufer verfing sich an ihren gefühllosen, schlaffen Beinen, die an ihr hingen wie an ihrer Taille festgeschnallte Kartoffelsäcke. Scharfe, feuchte Luft und Regen klatschten ihr ins Gesicht, während sie sich der Schiebetür näherte. O Gott, ist das Glas schwer. Geh weg. Erbittert begann sie an der massiven Tür zu zerren. Zeig dich, sagte Karen. Ihre kraftlosen, mageren Händen, schmerzten, als sie die Tür unendlich langsam zuschob. Warum hast du das getan? Warum hast du mir meine
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