Girlfriend in a Coma
der Vorstadt. Richards und Pams Eltern werden nie aus den Staaten zurückkehren, Hamiltons Vater nicht von Kauai und seine Mutter nicht aus Toronto. Linus' Eltern und Wendys Vater sind sechzig Meilen weit weg, doch es könnten genausogut eine Million sein. Karens Eltern sind nicht nach Haus gekommen, und Karen hat nicht den Eindruck erweckt, daß sie noch zu erwarten sind.
Megan setzt sich auf das Bett ihrer Großeltern und schnieft, dann haut sie sich selbst eine runter. »Warum hast du das gemacht, Meg?«
»Weil ich so ein Waschlappen bin, daß ich nicht mal wie ein richtiges menschliches Wesen weinen kann.“
»O, Schätzchen ...«
Richard legt seinen Arm um Megans Schultern und läßt sie flennen; er selbst kann das später tun. Als sie sich ausgeweint hat, sagt Richard: »Laß uns jetzt ein paar Sachen zusammensammeln. Manche zum Begraben und andere zum Behalten.« Megan steht auf und schlurft halbherzig umher. Ein Paar Hauspantoffeln; eine Perlenkette; eine Pfeife; gerahmte Fotos. Megan umklammert ein Kissen, damit sie sich an den Geruch ihrer Großmutter erinnern kann. Sie gehen auf die Terrasse hinaus und blicken über das Wasser auf die Innenstadt. Der Himmel ist verhangen und von Rauch vernebelt, es riecht nach brennendem Holz und verschmorten Bremsscheiben. Während Richard das Panorama betrachtet, geht Megan hinein und kommt kurz darauf mit einem der Diamanten-Ohrclips von Richards Mutter wieder heraus. »Hier«, sagt sie, »beug dich mal runter, Dad.« Megan nimmt den Diamanten und drückt ihn Richard in die Hand. Er mustert die feinen Risse aus weißem Licht, die in seinem Innern funkeln, und ein längst vergangener Tag mit Megan unten am Ambleside Beach fällt ihm wieder ein, ein heller Tag. Er hatte in die Sonne und das Licht auf dem Wasser gestarrt und gedacht, daß in uns allen ein Licht scheint - ein Licht, heller als die Sonne, ein Licht im Innern der Seele. Er hatte es vergessen, und jetzt, dort auf dem Balkon, fällt es ihm wieder ein.
Die Straßen sind leer und still, als Linus, Wendy, Hamilton und Pam den Eyremont Drive hochfahren. Als sie oben angekommen sind, liegt die Stadt vor ihnen, ein funkelndes, schadhaftes Blatt Zinn, in dem Feuer brennen wie Acetylen-Perlen, die aus einer zerrissenen Halskette gefallen sind. Rauchbänder steigen vom Boden auf, als wären sie an den Schadstellen verankert; im Hafen ist eine ölige Körnermischung ins Wasser gefallen und brennt in einem Türkisblau, das an die Bahamas erinnert.
»Das Meer steht in Flammen«, sagt Hamilton. »Wie ein Ozean brennenden Whiskeys.« Linus hält das Bild auf Hi-8 fest. Bis jetzt zeigt niemand Anzeichen von Trauer; sie stehen alle noch unter Schock. Was genau soll man als Bürger tun? fragen sie sich. Was kann diese seltsame Situation nur für einen Sinn und Zweck haben?
»Ich saß einmal in einem Zug«, sagt Pam, »in England, auf dem Rückweg nach London von irgend jemandes Landhaus in der Nähe von Manchester.« Sie zündet sich eine Zigarette an. »Es war Morgen, und ich hatte einen grauenhaften Kater und mußte zurück nach London. Um elf Uhr hielt der Zug an - es war Remembrance-Day - und alle Maschinen stoppten, und alle Geräusche und Stimmen verstummten, und die Welt wurde ganz still. Das Schweigen dauerte eine Minute, und alle schlössen dabei die Augen. Ein ganzes Land schloß die Augen. Es kam mir vor, als sei die Welt zum Stillstand gekommen. Ich dachte mir: So muß das Ende der Welt sein. Ich dachte: So ist es also, wenn die Zeit zu Ende geht. Jetzt fühle ich mich ganz ähnlich.«
Der Wind ändert die Richtung. »Was ist das für ein Geruch?« fragt Hamilton. Schon steigt ihnen ... der Geruch in die Nase. Hamilton sagt: »O-oh - Matscher.« Pam kreischt auf und wirft eine Kamera nach ihm.
Als sie aus der Wohnung ihrer Großeltern zurück ist, verspürt Megan das Bedürfnis, etwas Produktives zu tun. Sie geht los, um die Strauße bei der Familie Lennox ein paar Türen weiter zu füttern. Das hungrige Quäken der Vögel wird lauter, als sie über das nasse Gras und durch die malerisch umrankte Haustür geht. In der Waschküche findet sie auf der Waschmaschine und dem Trockner stapelweise Kornsäcke. Durch die geöffnete obere Hälfte der Holländischen Tür, die in die Garage führt, kann Megan die großen Vögel nicht sehen, doch dann kommen von der Seite her zwei indignierte, dumme Gesichter mit Maybelline-Augen heranstolziert. Sie glucken und bewegen aufgeregt die Köpfe auf und ab. Megan
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