GK0061 - Der Gnom mit den Krallenhänden
an Marion fest.
Jetzt löste sich der Frauenkörper aus dem roten Licht, schwebte über ihr Bett.
Kitty erkannte es mit nahezu brutaler Deutlichkeit.
Ja, dieses Wesen war Marion, ihre Freundin.
Sie trug dasselbe Kleid wie im Theater. Das Kleid, das Kitty auf dem Boden der Dusche gesehen hatte.
Mein Gott, wie war das möglich.
»Hallo, Kitty«, hörte sie Marions ferne Stimme. »Ich will dich zu mir holen. Komm mit in unser Reich.«
Nein, wollte Kitty Jones schreien, doch nur ein rauhes Krächzen drang aus ihrer Kehle.
Die Gestalt schwebte näher, stand direkt über ihr.
Mit unendlicher Mühe hob Kitty den Arm, wollte Marion anfassen, aber ihre Hand glitt durch die Gestalt hindurch.
»Ich – ich will nicht«, stöhnte Kitty. »Bitte, laß mich in Ruhe. Bitte. Ich…« Das Grauen schnürte ihr die Kehle zu.
Doch der Geist kannte keine Gnade. »Wenn du nicht willst, mußt du sterben«, hörte Kitty die Stimme ihrer Freundin.
»Sterben?« flüsterte Kitty.
»Ja, sterben.«
Im gleichen Augenblick verschwamm Marions Gesicht, und ein grinsender Totenschädel nahm dessen Platz ein. Die Hand der unheimlichen Erscheinung fuhr in das Kleid, kam zurück und hielt ein Messer in der Faust.
Wie hypnotisiert starrte Kitty auf das Messer und sah die blitzende Klinge, die sich langsam ihrer Kehle näherte…
***
Nicht weit vom James-Call-Theater entfernt fand John eine Telefonzelle.
Mit langen Schritten eilte er auf die Box zu, sah, daß sie unbesetzt war, riß die Tür auf und schnappte sich sofort das Telefonbuch.
Fieberhaft blätterte er den dicken Wälzer durch, suchte nach Kitty Jones’ oder Marion Nelsons Namen.
Ohne Erfolg. Die beiden Mädchen hatten keinen Telefonanschluß.
Durch die Sucherei war wertvolle Zeit verlorengegangen. John machte sich wegen der Girls immer mehr Sorgen. Besondere Angst hatte er um Marion Nelson.
Der Inspektor rannte zu seinem Bentley, den er auf einem Parkstreifen abgestellt hatte. So schnell es der Verkehr zuließ, jagte er in Richtung Scotland Yard.
Zum Glück war das Gebäude auch während der Nacht besetzt. In jeder Abteilung arbeitete mindestens ein Mann.
An dem staunenden Portier vorbei rannte John zum Lift und fuhr in die Kellerräume, wo sich unter anderem auch das riesige Archiv befand.
Der zuständige diensthabende Kollege war halb eingenickt. John scheuchte ihn hoch. 20 Sekunden später hatte er das Londoner Adreßbuch.
Wenn die beiden jetzt noch in einer anderen Stadt wohnen sollten…
Sie wohnten in der Meldon Street, nahe dem Stadtteil Soho. Nicht gerade eine vornehme Gegend.
John raste los. Er zog seinen Bentley durch die engen Londoner Straßen, was die Reifen einiges an Profil kostete. Aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen.
Die Meldon Street war eine typische Wohnstraße. Hohe angeschmutzte Häuser klebten eng aneinander. Alte Gaslaternen verbreiteten einen milchigen Schein.
Die Mädchen wohnten in dem Haus Nummer 17. Kurz davor fand John einen Parkplatz.
Er lief die paar Schritte bis zum Eingang, holte seine Kugelschreiberlampe hervor und leuchtete das Klingelbrett ab.
Jones – Nelson. Dritter Stock.
John wollte gerade schellen, als er sah, daß die Tür offenstand.
Blitzschnell stand der Inspektor in dem muffig riechenden Hausflur.
Er machte Licht.
Grüne, zum Teil abgeplatzte Fliesen bedeckten die Wände.
Der Inspektor jagte die Treppen hoch. Er nahm vier Stufen auf einmal.
Sein Atem ging kaum schneller, als er den dritten Stock erreicht hatte.
Er zählte zwei Wohnungstüren, die in der Mitte jeweils eine Scheibe aus Milchglas besaßen.
Die linke Tür gehörte zur Wohnung der beiden Mädchen. Sie besaß noch eine altmodische Drehschelle.
John legte gerade seinen Daumen und Zeigefinger an die Schelle, da hörte er den Schrei.
Es war ein Schrei, geboren aus Todesangst und Verzweiflung – und er kam aus der Wohnung der Mädchen.
John zuckte herum, winkelte den rechten Arm an und stieß den Ellenbogen durch die Scheibe.
Splitternd fiel das Glas nach innen.
Johns Rechte faßte durch das entstandene Loch, bekam einen Schlüssel zwischen die Finger und drehte ihn herum.
Die Tür war offen!
Der Inspektor stürzte in die Wohnung, warf im Laufen einen Blick in das dunkle leere Wohnzimmer und flog förmlich in den kleinen Schlafraum.
Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern gerinnen.
Kitty Jones lag im Bett. Über ihr schwebte eine gräßliche Gestalt. Sie trug die Kleidung von Marion Nelson, doch ihr Schädel war ein
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