GK0074 - Die Insel der Skelette
sich weiter auf dem Gelände.«
John nickte. »Gut, Korporal, erzählen Sie.«
Der Beamte berichtete in knappen Sätzen. Zum Schluß meinte er: »Wahrscheinlich hält sich das Skelett noch auf dem Hallendach auf. Ich habe es auf jeden Fall nicht herunterklettern sehen.«
In diesem Augenblick kam Eric Jenkins angelaufen.
»Das Skelett«, keuchte er, »es steigt vom Dach.«
John schaltete sofort. »Welche Halle ist es?«
»Da, die erste«, erwiderte Korporal Helm.
Inspektor Sinclair rannte los. Er lief um die Halle hemm und entdeckte auch die Leiter, die auf das Dach führte.
Das Skelett stand schon auf dem Boden. Es sah John Sinclair sofort.
Der Totenschädel ruckte herum, die leeren Augenhöhlen starrten dem Inspektor entgegen.
John blieb stehen.
Dafür setzte sich das Skelett in Bewegung. Wie eine an unsichtbaren Fäden gezogene Marionette.
John trat zwei Schritte nach rechts, weg von der Hallenwand. Der Mond war wieder hinter einer Wolke hervorgekommen und beleuchtete die bleichen Knochen des Unheimlichen.
Fünf Yards trennten John Sinclair noch von dem Skelett.
Langsam, fast bedächtig zog John seine Pistole.
Es war eine besondere Waffe. Sie war mit geweihten Silberkugeln geladen und hatte ihrem Besitzer schon manchen Dienst erwiesen.
John hob den Arm, visierte genau.
Noch zwei Yards.
Trocken peitschte der Schuß.
Die Kugel drang dem Skelett in die rechte Augenhöhle. Es war ein Meisterschuß.
Der Unheimliche ruderte verzweifelt mit den Knochenarmen, versuchte irgendwo Halt zu finden.
John hatte die Waffe sinken lassen. Gebannt beobachtete er das Schauspiel.
Das Skelett kippte auf die Seite. Die Arme schlugen wie Dreschflegel auf den Beton. Noch einmal heulte das Höllenwesen auf. Dann lag es still.
Langsam trat John näher.
Und dann geschah das Unheimliche. Plötzlich, wie aus dem Nichts, formte sich wieder das Fleisch über die Knochen. Augen, Mund, Nase entstanden. Alles geschah völlig lautlos. Johns Silberkugel hatte den höllischen Bann gebrochen.
So etwas hatte John Sinclair noch nie erlebt. Er fühlte, wie ihn das Grauen überkam.
Zwei Minuten später lag ein normaler Mann vor ihm auf dem Boden. John hatte Paul Cassidy nie gesehen, nahm aber an, daß nur er es sein konnte.
Der Inspektor bückte sich und tastete nach dem Handgelenk des Mannes.
Die Haut war kalt.
John fühlte keinen Pulsschlag. Der Mann vor ihm war tot.
Hinter seinem Rücken hörte John Sinclair ein pfeifendes Geräusch, so, als würde jemand den Atem zwischen den zusammengepreßten Zähnen einziehen.
John wandte den Kopf und sah Inspektor Bulmer, der sich mit einer Hand an die Hallenwand gestützt hatte.
»Ich habe alles mit angesehen. Oder fast alles«, keuchte Bulmer. »Ich kann es immer noch nicht begreifen. Wie ist das möglich?«
John zuckte die Achseln. »Das weiß ich auch nicht. Hoffe es aber bald herauszubekommen. Bis dahin müssen Sie sich noch gedulden, lieber Kollege. Aber jetzt kommen Sie. Wir müssen den Toten wegschaffen lassen.«
Die Beamten hatten kaum den Bentley erreicht, da wurde John durch sein Autotelefon von der Zentrale angerufen. Von dort teilte man ihm mit, daß ein zweites Skelett aufgetaucht sei und bereits einen Mord begangen habe…
***
Mary Cassidy erwartete John Sinclair in der Bibliothek.
Das Gesicht der Frau war blaß. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Die Schminke hatte braunschwarze Bahnen über die Wangen gezogen.
Man sah Mary Cassidy an, daß sie die vergangenen schrecklichen Minuten noch nicht überwunden hatte.
Als John das große Zimmer betrat, brannte nur eine Stehlampe. Sie verbreitete ein warmes Licht. Überhaupt machte die Bibliothek einen sehr gemütlichen, anheimelnden Eindruck. Man konnte sich hier wohl fühlen.
Mary Cassidy setzte sich auf, als John auf sie zukam. Der Inspektor hatte die Tür geschlossen. Ein beruhigendes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
John Sinclair stellte sich kurz vor, nahm einen gepolsterten Stuhl und setzte sich der Frau gegenüber.
Der Inspektor war von der Fabrik aus sofort wieder hierher gefahren. Er hielt es für wichtig, mit Mary Cassidy zu reden. Seine Kollegen vom Yard suchten inzwischen die Schrebergartenanlage nach dem zweiten Skelett ab.
Mary Cassidy spielte mit dem leeren Kognakschwenker in ihrer Hand. Schließlich setzte sie ihn auf dem kleinen Beistelltisch, der neben der Liege stand, ab.
»Mrs. Cassidy«, begann John vorsichtig. »Ich möchte Ihnen gern einige Fragen stellen. Es sind sehr wichtige Fragen.
Weitere Kostenlose Bücher