GK0074 - Die Insel der Skelette
fünfzehn Minuten hatten sie die Laube erreicht. Die Tote lag noch immer an der gleichen Stelle.
Der Sergeant zog eine Taschenlampe hervor und leuchtete die Leiche ab. Er umkreiste sie langsam.
»Kein Zweifel. Die Frau ist erwürgt worden.« Der Polizist rieb sich sein Kinn und blickte auf den Penner, der ein paar Schritte abseits stand.
»Sie haben sie doch nicht selbst umgebracht?«
»Gott bewahre, Sir. Hätte ich Sie sonst alarmiert?«
»Hm, man hat schon Pferde kotzen sehen.«
Der Sergeant ging in die Knie und betrachtete die Würgemale am Hals der Toten. Selbst im Licht der Taschenlampe sah er die roten Streifen. Sie waren schmal, anders als bei normalen Händen.
Der Sergeant richtete sich wieder auf. »Und Sie sagen, es wäre ein Skelett gewesen?«
Der Penner nickte ängstlich.
»Wieviel haben Sie denn getrunken?« wollte der Polizist wissen.
»Gar nichts, Officer. Keinen Tropfen. Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist.«
»Was ist dir schon heilig?«
Der Sergeant war in die Duzform übergegangen, was er bei kleineren Gaunern immer tat.
Dann winkte er mit dem rechten Arm. »Komm, wir gehen wieder zurück. Ich muß die Mordkommission verständigen.«
Der Rückweg ging schneller. Wenigstens kam es dem Polizisten so vor.
Schließlich erreichten sie den Weg, auf dem auch der Streifenwagen stand. Sie sahen die beiden hellen Augen der Scheinwerfer und die Gestalt, die torkelnd auf sie zugelaufen kam.
Der Sergeant begann zu rennen. Nach wenigen Sekunden schon erkannte er in der Gestalt seinen Kollegen.
»Sergeant«, keuchte dieser. »Sergeant – ich…«
Der Beamte verstummte keuchend.
Der Sergeant faßte seinen Kollegen an beide Schultern. »Was zum Teufel ist denn geschehen?«
»Ich – ich saß nichts ahnend in dem Wagen. Alles war ruhig und plötzlich hörte ich ein schleifendes Geräusch. Als ging jemand über – über… Kies. Ich sah aus dem Fenster, und…«
»Was sahen Sie? Herrgott, reden Sie doch!«
»Ich sah… ein Skelett!«
Für Sekunden sagte niemand ein Wort. Nur der keuchende Atem des Polizisten war zu hören.
Und plötzlich – ganz unmotiviert – fing der Penner an zu lachen.
»Ich habe es Ihnen gesagt, Officer. Immer wieder. Es war ein Skelett!«
»Halten Sie den Mund!« schrie der Sergeant. Er wischte sich mit dem Ärmel der Uniformjacke den Schweiß aus der Stirn.
»Ich glaube, die sind alle verrückt geworden«, sagte er leise. »Aber nicht mit mir. Nee, da soll sich Scotland Yard drum kümmern. Die wissen ja auch sonst immer alles besser.«
***
John Sinclairs Gesicht war hart, als er den Hörer auf die Gabel legte.
Bulmer, der dem Inspektor gefolgt war, blickte ihn prüfend an. »Was ist geschehen?«
»Soeben ist ein Anruf an unsere Zentrale gegangen. Zwei Polizisten haben ein Skelett gesehen.«
»Und wo?«
»Auf dem Gelände einer Spielzeugfabrik.«
Bulmer lachte.
John Sinclair blickte seinen Kollegen an. »Verdammt, mir ist nicht nach Scherzen zumute. Diese Spielzeugfabrik gehört Paul Cassidy, dem Mann, der sich angeblich in ein Skelett verwandelt hat. Verstehen Sie nun?«
Bulmers Lachen endete wie abgeschnitten. Er wollte etwas sagen, aber John war schon auf dem Weg zur Tür. Erst im Garten holte Bulmer ihn ein.
»Ich fahre natürlich mit, Kollege Sinclair.«
»Meinetwegen.«
John schloß seinen Bentley auf. Er saß noch nicht ganz, da hatte er den Wagen schon gestartet. Die Adresse der Spielzeugfabrik war ihm durchgegeben worden.
»Wieviel Beamte wurden zu dem Einsatz abkommandiert?« wollte Bulmer wissen.
»Keiner. Wir werden die Sache allein durchstehen. Nur die Männer, die das Skelett entdeckt haben, beobachten das Gelände weiter. Je weniger Aufsehen gemacht wird, um so besser.«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Bulmer.
Der Inspektor hatte sich inzwischen von seinem Kollegen Sinclair ein wesentlich besseres Bild gemacht. Wie schnell dieser Mann Entscheidungen traf, das war schon anerkennenswert. Und langsam war Bulmer auch davon überzeugt, daß dieses Skelett existierte.
Die Londoner Straßen waren zum Glück leer. Noch besser voran kamen sie auf der Ausfallstraße nach Camden Town. Es gab sogar Hinweisschilder, die auf die Spielzeugfabrik aufmerksam machten.
John fuhr langsamer und erkannte schließlich im Licht der breiten Scheinwerferbahnen das Eingangstor der Fabrik.
Der Inspektor stoppte neben dem Streifenwagen.
Als er ausstieg, kam ein Uniformierter auf ihn zu.
»Korporal Helm«, stellte er sich vor. »Mein Kollege befindet
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