GK0129 - Das Phantom von Soho
sollte seiner Meinung nach von Schnee und Matsch verschont bleiben. Da man sich jedoch mit so vielen Dingen abfinden mußte, spielte das auch keine Rolle mehr.
Im Schneckentempo fuhr der Oberinspektor zum Dienst. Das Gebäude von New Scotland Yard lag direkt an der breiten Victoria-Street. Im Westen und Norden wurde es vom Broadway und der Dacre-Street eingekreist. Über den Namen Broadway hatten nicht nur die Beamten vom Yard gelacht, schließlich war die Straße nicht länger als die Westseite des Yard – Gebäudes.
Während der Oberinspektor sich seiner Arbeitsstelle näherte, rauchte er die Morgenzigarette. Es gehörte schon zu seinen Gewohnheiten, auf der Fahrt den Polizeifunk abzuhören.
Und plötzlich horchte John auf.
Es war von einem Mord an einem gewissen Hugh Crayton die Rede. Der Leiter der Mordkommission forderte über Funk einige Beamte zur Verstärkung an.
Crayton, überlegte John. Irgendwo hatte er den Namen schon mal gehört. Aber nicht in der letzten Zeit, das wußte er genau. Doch John Sinclair wollte es genau wissen. Er fuhr in eine Parklücke, griff zum Autotelefon und ließ sich über die Zentrale, mit dem Leiter der zuständigen Mordkommission, einem Inspektor Palmer, verbinden.
Nach drei, vier Fragen wußte John Bescheid. Richter Hugh Crayton war der Mann gewesen, der Monty Parker, das Phantom von Soho, verurteilt hatte. Fünf Jahre war das nun schon her, und John, der damals gerade am Beginn seiner Laufbahn gestanden hatte, erinnerte sich noch gut an den Racheschwur, den Parker damals ausgesprochen hatte. Sollte dieser Mann seine Drohung wahrgemacht haben? Aber soviel John bekannt war, saß Parker in einer geschlossenen Anstalt, und von einem Ausbruch hatte er auch nichts gehört. Nein, dieser Mord mußte ein anderes Motiv haben.
John Sinclair fuhr weiter. Er hatte eigentlich mit diesem Fall gar nichts zu tun, sein Gebiet war das Übersinnliche, das Okkulte. Im Augenblick beschäftigte er sich mit Nachforschungen über einen Club von Teufelsanbetern, die angeblich auf einem Schiff ihre Treffen abhielten. Scotland Yard hatte einen Tipp bekommen, und John wollte der Sache nachgehen.
Trotzdem ging ihm der Mord an dem Richter nicht aus dem Kopf. Auch nicht, als er in seinem Büro saß und sich bei seinem Chef, Superintendent Powell, anmelden ließ.
Powell hatte schon von diesem Mord gehört, und so sparte sich John Sinclair große Erklärungen.
»Sie glauben an den Racheschwur?« fragte Powell säuerlich lächelnd und nahm einen Schluck von seinem berühmten Magenwasser.
»Es ist durchaus möglich, Sir.«
»Aber Monty Parker sitzt!«
»Ist das sicher?«
Powell blickte John durch seine dicken Brillengläser an. »Ich weiß, man muß Sie immer erst überzeugen«, sagte er, drückte auf den Hebel der Sprechtaste und schnarrte: »Bitte eine Verbindung mit dem McCarthy-Sanatorium! So Oberinspektor, jetzt werden wir Ihre letzten Zweifel aus der Welt räumen.«
»Vielleicht.«
»Sie wittern doch wieder etwas, nicht wahr?« fragte Powell lauernd.
John lächelte. »Sagen wir mal, ich habe einen Verdacht. Es sind zwar fünf Jahre vergangen, aber man sollte diesen Racheschwur nicht zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Machen wir uns doch nichts vor, Sir. Sie und ich, wir wissen doch beide, was alles in dieser Welt möglich ist. Ich brauche meine zurückliegenden Fälle erst gar nicht aufzuzählen. Theoretisch besteht die Möglichkeit, daß Monty Parker der Täter ist.«
Superintendent Powell wollte zu einer Gegenfrage ansetzen, doch da summte das Telefon.
Powell hob ab, deckte die Sprechmuschel mit der Hand zu und sagte zu John Sinclair gewandt: »Es ist der Direktor des Sanatoriums!«
Powell sagte dem Mann, worum es ging, und hörte anschließend zu, ohne irgendwelche Zwischenfragen zu stellen. Und als er den Hörer wieder auf die Gabel legte, blickte er John triumphierend an. »Wie ich es Ihnen gesagt habe, Herr Oberinspektor, Monty Parker sitzt in seiner Zelle. Diesmal haben Sie sich geirrt.«
»Möglich«, gab John zu, »aber überzeugt bin ich nicht. Ich habe nämlich in diesem Job, wie man so schön sagt, Pferde kotzen sehen. Und ich würde deshalb die Überwachung der anderen gefährdeten Personen wieder aufnehmen.«
»Nein.« Superintendent Powell schüttelte den Kopf. »Wir würden uns lächerlich machen, glauben Sie mir.«
»Und wenn der zweite Mord geschieht? Ich meine, außer mir standen ja noch mehr Personen auf der Liste. Zum Beispiel der Staatsanwalt und die
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