GK0153 - Die Rache der roten Hexe
Dunkelheit zerschnitt.
Der niedrige Gang führte abwärts. Staub von Jahrhunderten hing an den Wänden. John mußte den Kopf einziehen. Spinnennetze kitzelten sein Gesicht. Nur mühsam unterdrückte er ein Niesen. Hinter seinem Rücken hörte er die Schritte der Alten.
»Geh nur schneller, Geisterjäger«, sagte sie. »Um so früher hast du es hinter dir.«
John dachte gar nicht daran, seine Schritte zu beschleunigen. Der Gang schien unendlich zu sein. Jedenfalls kam es dem Oberinspektor so vor, denn der schmale Lichtstrahl verlor sich immer noch in der Dunkelheit.
Fußgroße Steine bedeckten den Boden. Sie rollten springend weiter, wenn John mit dem Fuß dagegenstieß. Die Luft war miserabel. Kaum zu atmen, dazu kam der widerliche muffige Geruch.
Und plötzlich war der Gang zu Ende. Wie abgeschnitten endete er vor einer Mauer. Sie war aus dicken Quadersteinen gebaut worden. Wie für die Ewigkeit, dachte John.
Die Alte schob sich an ihm vorbei. In der linken Hand hielt sie die Lampe, mit der rechten tastete sie die Mauer ab. Dann endlich fand sie, was sie gesucht hatte. Einen verborgenen Kontakt.
Knirschend drehte sich der größte Quader um die eigene Achse.
Ein etwas schulterbreites Loch tat sich auf. »Los, da hinein«, sagte die Alte.
Auf allen vieren kroch John Sinclair durch die Öffnung und erreichte einen weiteren Gang, in den jedoch Treppenstufen eingehauen worden waren, der aber weiter in die Tiefe führte. In die Tiefe des Felsens, auf dem das Haus stand.
John konnte nicht wissen, daß er sich jetzt in dem Gang befand, den man auch von der Halle aus erreichen konnte.
»Geh weiter, Geisterjäger«, sagte die Alte. »Du hast es bald geschafft.«
Tatsächlich. Nur wenige Minuten später stand John vor einer Tür, die mit Eisenbeschlägen versehen war.
»Zieh die Riegel zurück!« befahl die Alte.
John gehorchte. Die Riegel waren gut eingefettet worden und ließen sich leicht bewegen. Genau wie die Tür, die den Eingang zu einem Kellerraum darstellte.
John mußte den Keller betreten.
Es war ein uraltes Verlies, ziemlich niedrig und leer bis auf einen Spiegel.
Er stand genau in der Mitte des Kellers.
John erkannte, daß der Spiegel eine besondere Bewandtnis haben mußte, denn der Rahmen war mit allerlei Zeichen und Symbolen aus der Dämonensprache beschnitzt.
Die Alte zündete zwei Kerzen an, stellte sie rechts und links neben den Spiegel.
Dann wandte sie John ihr Gesicht zu, in dem die Augen in einem seltsamen Glanz flackerten.
»Dieser Spiegel«, flüsterte die Alte, »ist das Tor zur anderen Welt. Zum Reich der Dämonen und Schreckensgestalten, Zu dem Paralleluniversum, in dem die toten Seelen der Verdammten ruhelos umherwandern und auf die Tage der Rückkehr warten. Wehe dem, der in dieses Reich hineingerät. Unzählige Schrecken warten auf ihn. Unbeschreibliche Qualen, wie sie Asmodis, der Höllenfürst, nur ausdenken kann. Jeder, der bisher unfreiwillig dieses Reich betreten hat, ist nie mehr zurückgekehrt. Und auch dir wird es nicht anders ergehen, Geisterjäger. Meine Freunde warten dort auf dich. Die Hexe wird kommen, aber du gehst hinein in den Vorhof zur Hölle.«
John wußte, daß die Alte nicht gelogen hatte. Er selbst kannte solche Spiegel. Es gab mehrere auf der Welt. Sie waren auch als Dämonentore bekannt. Man konnte durch den Spiegel hindurchgehen, als wäre er eine Seifenblase. Nichts hielt die Person auf, die dieses Experiment wagte. Doch der Rückweg, der war dann versperrt, und der Unglückliche, der in das Land des Schreckens geraten war, suchte vergebens nach einem Ausweg.
»Nun, wie gefällt dir diese Lösung, John Sinclair?« fragte die Alte hämisch. »Ich werde dich gar nicht töten, sondern in die Verbannung führen, direkt in Asmodis’ Hände, der dann mit dir machen kann, was er will.«
»Noch ist es nicht soweit«, sagte John mit ruhiger Stimme.
Die Alte kicherte. »Suchst du noch nach einem Ausweg?«
»Vielleicht.«
»Du Narr!« zischte Madame Millau. »Du armer Narr. Wenn du die anderen retten willst, mußt du dieses transzendentale Tor durchschreiten.«
John beschloß zu pokern. »Und die Hexe?« fragte er. »Wann bekomme ich sie zu Gesicht?«
»Noch in dieser Sekunde«, erwiderte die Alte. »Dreh dich nur um!«
John wirbelte um die eigene Achse. Madame Millau hatte nicht gelogen. Vor ihm stand Lucille Latour!
***
Saccu feuerte zweimal. Die Detonation der Schüsse hallte durch den großen Raum.
Das Blei jagte in Jane Collins Richttung,
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