GK0196 - Die Spinnen-Königin
seine Nase, und er spürte ihren festen Busen an seinem Ellbogen. Manch neidischer Männerblick traf den Oberinspektor.
»Wie weit soll die Reise denn gehen?« erkundigte sich John vorsichtig. »Wissen Sie, ich will nicht neugierig sein, aber…«
Die Chinesin lachte perlend. »Das macht doch nichts, Mr. Sinclair. Bis kurz hinter Woolwich. Dort wenden wir dann.«
John nickte. »Das ist relativ weit. Woolwich liegt schon außerhalb der Londoner Stadtgrenze.«
Die Chinesin lächelte rätselhaft. »Ich weiß, Mr. Sinclair. Aber wir haben doch Zeit. Außerdem bitte ich meine Gäste während der Fahrt zum kalten Büffet. Ein phantastisches lukullisches Arrangement. Es wird Ihnen vorzüglich munden.« Madame Wu zog ihren Arm wieder unter Johns Ellbogen weg. »Entschuldigen Sie mich.«
Der Geisterjäger nickte. Er sah der Chinesin nachdenklich hinterher, die sofort wieder von anderen Gästen umlagert wurde. John klaubte sich eine Zigarette aus seinem schmalen ledernen Etui, steckte sie zwischen die Lippen und sah vor sich eine Flamme aufflackern.
Bill Conolly hielt das Feuerzeug.
John bedankte sich mit einem Kopfnicken.
»Und?« fragte Bill. Sein Gesicht war gespannte Aufmerksamkeit.
»Ich weiß genausoviel wie du.«
»Aber du hast doch mit ihr gesprochen.«
John stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. »Doch, ich weiß noch etwas. Auf der Fahrt kannst du ein kaltes Büfett plündern.«
»Mist«, sagte Bill. »Essen kann ich zu Hause. Was wird mit Suko?«
»Er muß sich eben allein helfen.«
»Willst du ihn denn nicht holen?«
»Habe ich doch versucht.«
Bill zeigte seine Zähne. »Und dann kam die Madame und hat dich erwischt.«
»Genau.«
»Mist, verdammter!« fluchte Bill. »Und jetzt?«
John Sinclair hob die Schultern. »Bleibt uns nichts anderes übrig, als uns eine gute Reise zu wünschen. Also dann…«
Im selben Moment begannen die Maschinen zu vibrieren, und das Boot nahm Fahrt auf.
***
Suko lauerte zwischen den abgestellten Wagen. Er hatte dort gute Deckung gefunden und konnte das ankernde Hausboot im Auge behalten.
Geduld hörte zu Sukos Tugenden. Er konnte stundenlang auf einem Fleck verharren, ohne auch nur mit den Augenwimpern zu zucken. Eine Gabe, die er von seinen Vorfahren geerbt hatte. Sie alle hatten sich mit der Kunst der Meditation und der Yogalehre beschäftigt.
Die Gäste befanden sich jetzt auf dem Schiff. Es war kaum anzunehmen, daß noch ein Nachzügler kam.
Am Steg hielten sich nur noch die Wächter auf. Sie rauchten und sprachen miteinander. Einmal erzählte jemand einen Witz, worauf die anderen Männer in schallendes Gelächter ausbrachen.
Dem Chinesen fiel auf, daß die Männer immer wieder auf die Uhren schauten und Zeiten verglichen.
Warteten sie etwa auf ein bestimmtes Ereignis? Oder gehörten sie vielleicht selbst einer Bande an, die sich auf Kunstdiebstähle spezialisiert hatte?
Möglich war alles. Suko war neugierig geworden. Er wollte erfahren, was die Wärter so beunruhigte. Aber dazu mußte er näher an sie heran.
Im Augenblick verschmolz Suko fast mit dem Blech eines schwarzen Jaguars. Die Gäste, die diesen Wagen fuhren, waren als letzte erschienen.
Suko schraubte sich langsam höher.
Unter seiner Haut spielten die geschmeidigen Muskeln.
Dann huschte er los.
Lautlos, schattenhaft…
Der Chinese hielt sich immer in Deckung der abgestellten Fahrzeuge. Wenn einer der Aufpasser mal zufällig in seine Richtung sah, ging Suko sofort auf Tauchstation.
Der Chinese schaffte es und gelangte ungesehen bis zu Bill Conollys Porsche. Er stand den Wärtern ziemlich nah.
Suko nahm hinter dem flachen Renner Deckung.
Die Männer unterhielten sich ziemlich laut und ungeniert. Die Stimmen übertönten sogar das Klatschen der Wellen am steinigen Ufer.
»Große Lust habe ich ja nicht, auf die Schlitten hier aufzupassen«, meinte einer der Kerle. Mit einer lässigen Bewegung schnippte er die Zigarette weg.
»Dienst ist Dienst«, erwiderte sein Kollege. »Aber einer von uns kann ja immer mal verschwinden. Nicht weit von hier ist doch die Kneipe. Da soll es übrigens auch etwas zum Anfassen geben. Weibliches, meine ich.« Der Mann lachte glucksend.
»Ja, das wäre eine Idee.«
»Wann fährt eigentlich das verdammte Boot ab?« fragte der Knabe mit dem großen Durst.
»In fünf Minuten ungefähr.«
»Okay, so lange kann ich noch warten.«
Suko durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Was er gerade gehört hatte, war für ihn von enormer Wichtigkeit. Wenn das
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