GK0196 - Die Spinnen-Königin
vor.
»Danke, Sir. Sie können passieren.«
John Sinclair hatte die Männer blitzschnell taxiert und erkannt, daß ihre Jacken an der linken Seite etwas ausgebeult waren. Die Aufpasser trugen Waffen. Anscheinend fürchtete Madame Wu um ihre wertvollen Kunstschätze.
Die Witterung war mies. Über dem Fluß hing eine quallige Nebelschicht, die jedoch in Ufernähe immer mehr zerfaserte.
Madame Wu hatte das Hausboot festlich schmücken lassen. Bunte Lichtgirlanden waren gespannt worden. Sie hatten die Form eines Segels und leuchteten in vier verschiedenen Farben. Zusätzlich gaben noch starke Scheinwerfer ihr Licht ab, so daß sie die Nacht zum Tag machten. Auch der Steg war geschmückt worden. Schaumstoffstreifen verhinderten, daß ein Besucher ausrutschte.
Am anderen Ende des Stegs wurden die drei Neuankömmlinge wieder von einem Kontrolleur erwartet.
»Ihre Karten bitte.«
Bill holte scharf Luft. »Ihr seid aber heute besonders pingelig. Keine Angst, wir wollen schon nichts mitnehmen.«
»Das glaube ich Ihnen gerne, Sir. Aber auch ich tue nur meine Pflicht.«
»Okay, es macht Ihnen ja niemand einen Vorwurf.«
Sie konnten passieren. Musikklänge wehten zu ihnen herüber. Eine Schwingtür pendelte im Wind. Hinter ihnen erfolgten schon die nächsten Gäste. Zwei Frauen und ein Mann. Eine der Frauen lachte schrill. »Ich finde es toll, was Madame Wu hier geleistet hat. Also wenn ich an die alten Masken denke… nein, so etwas fehlt uns noch im Musikzimmer.«
»Laß uns schnell weitergehen«, sagte John, »sonst kriegen sie mich noch.«
Der Geisterjäger drückte als erster die Schwingtür auf. Und schon standen sie in dem großen, festlich ausstraffierten Salon.
Madame Wu hatte sich wirklich alle Mühe gegeben. Sie hatte den großen Raum auf dem Oberdeck durch spanische Wände und geschickt eingebaute Nischen in mehrere kleine Räume aufgeteilt. Der große Kristalleuchter an der Decke spendete warmes, blendfreies Licht. Zahlreiche in kostbare Rahmen gefaßte Spiegel, ließen die wertvollen Ausstellungsstücke doppelt und dreifach erscheinen. Stimmengewirr bildete eine montone Geräuschkulisse.
John Sinclair gestand sich ehrlich ein, daß er begeistert war. Er hätte diese Gediegenheit nie auf diesem Hausboot erwartet.
Doch es gab eine Person, die all die Kunstgegenstände überstrahlte.
Madame Wu, die Gastgeberin!
Sie hielt sich in der Nähe der Tür auf, um jeden Gast bei seinem Eintritt persönlich begrüßen zu können.
Sie reichte zuerst Sheila die Hand und hieß sie herzlich willkommen.
Auch für Bill fand sie einige höfliche Worte.
Dann war John an der Reihe.
Auf ihm ruhte der Blick der Frau etwas länger, und der Geisterjäger hatte das Gefühl, daß in ihren Pupillenschächten so etwas wie Mißtrauen aufflackerte. Aber das konnte auch eine Täuschung sein.
John nahm die rechte Hand der Frau. Sie fühlte sich seltsam kalt an. John warf einen schnellen Blick auf die langen, gebrechlich wirkenden Finger und wunderte sich einen Augenblick später über den kräftigen Händedruck.
»Ich freue mich, daß Sie mir die Ehre Ihres Besuches geben«, sagte die Chinesin mit einer Altstimme, die John seltsam berührte.
Der Oberinspektor neigte den Kopf. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Sie gestatten, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist John Sinclair.«
Keine Reaktion zeigte, daß Madame Wu schon von dem Geisterjäger gehört hatte. Entweder kannte sie John wirklich nicht, oder sie hatte sich vorzüglich in der Gewalt.
»Ich hoffe, es gefällt Ihnen bei mir«, sagte die Chinesin. »Mich müssen Sie jetzt entschuldigen. Ich muß neue Gäste begrüßen. Wir werden uns aber sicherlich im Laufe des Abends noch einmal begegnen.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte John.
Bill Conolly erwartete seinen Freund mit grinsendem Gesicht. »Die scheint aber ganz schön Eindruck auf dich gemacht zu haben«, sagte er.
John hob die Schultern. »Kaum.«
Daraufhin tippte ihm Sheila mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Du lügst schlecht, großer Geisterjäger.«
John stand so, daß er Madame Wu im Spiegel beobachten konnte. Sie war wirklich eine faszinierende Frau. Ihr lackschwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel glatt und lang bis auf den Rücken hinunter. Das Kleid aus gelber Seide reichte bis zu den Knöcheln, war aber an beiden Seiten geschlitzt, so daß bei jedem Schritt die gut gewachsenen Beine zu sehen waren. Schön, glatt und kalt war das Gesicht. Nicht ein Fältchen kerbte die
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