GK0200 - Das Todeskarussell
der Schuld.
Wie man es auch drehte und wendete, es war schon eine vertrackte Situation.
Wilson leerte das Glas. Er hatte noch keine Lust, schlafen zu gehen, und drehte das Radio an.
Ein Sender brachte Unterhaltungsmusik, die neuesten Schlager. Wieder kam ihm der Gedanke an eine erneute Heirat. Obwohl er das Verhältnis mit der Fabrikantenfrau hatte, fühlte er sich doch ziemlich einsam. Das Haus war einfach zu groß für eine einzelne Person. Und er wurde auch immer älter. Mit sechsundfünfzig war er wirklich kein junger Mann mehr. Das Leben hatte seine Spuren bei ihm hinterlassen. Falten kerbten das Gesicht, und die Halbglatze machten ihn auch nicht gerade zu einem Adonis. Kontaktlinsen ersetzten die Brille. Seinen Bauch jedoch konnte Tatum nicht verbergen. Er trank noch einen Whisky.
Wilson liebte den Scotch. Vor allen Dingen, wenn er sein Alter und seine Reife hatte.
Er ließ sich die Kisten immer aus Schottland kommen. Dort kannte er einen Whiskyhändler und bekam den Stoff zu Vorzugspreisen. Das Schrillen des Telefons ließ ihn zusammenzucken.
Wilson blickte auf die Uhr. Wer konnte ihn um diese Zeit noch anrufen?
Er hob ab und hatte dabei das Gefühl, einen dicken Kloß im Magen sitzen zu haben.
»Wilson!«
Nichts. Der Anrufer gab keinen Ton von sich.
»Verdammt, so melden Sie sich doch!« schrie der Bürgermeister. Keine Antwort.
Wilson merkte, daß er anfing, unter den Achselhöhlen zu schwitzen. Mit einer wütenden Bewegung warf er den Hörer wieder auf die Gabel. Da hatte sich irgendein Kerl einen dummen Scherz erlaubt. Wirklich nur einen Scherz?
Wilson kamen plötzlich Zweifel. Und da war es wieder. Das Gefühl der Angst, das bohrende schlechte Gewissen, das ihn die ganzen Jahre über gequält hatte.
»Zum Teufel damit«, knurrte Wilson. Er stellte das Radio ab. Jetzt hatte er auch keine Lust mehr, Musik zu hören.
Wilson ging ins Schlafzimmer, machte Licht.
Ein Hauch von Parfüm wehte ihm entgegen. Erinnerung an Jean. Das breite Doppelbett war zerwühlt. Auf dem Boden lag Jeans seidener Morgenmantel. Wilson hob ihn auf und hängte ihn über einen Bügel. Er wollte sich schon ausziehen, da hörte er das Klopfen. Wilson erstarrte. War jemand im Haus?
Er löschte das Licht, schlich aus dem Zimmer und hatte kaum die Türschwelle überschritten, als er die Schritte vernahm. Leise, schleichend, aber doch zielstrebig.
Kein Zweifel. Wilson war nicht mehr allein. Jemand schlich durch das Haus.
Ein Einbrecher!
Wilson merkte, daß sein Herz schneller zu schlagen begann. Es hämmerte in seiner Brust.
So leise es ging, schlich er in sein Wohnzimmer. Neben dem Schreibtisch stand ein Waffenschrank mit drei Gewehren. Unter anderem befand sich darin auch das Sturmgewehr, mit dem er damals den Zigeuner erschossen hatte.
Der Schlüssel zum Schrank lag in seinem Schreibtisch. Auf Zehenspitzen huschte Tatum Wilson durch das Zimmer, zog die Schreibtischschublade auf und tastete nach dem Schlüssel.
Er fand ihn – lauschte.
Keine Schritte mehr. Nichts.
Hatte er sich getäuscht?
Wilson wollte es genau wissen.
Er lief zum Waffenschrank. Teppiche dämpften die Schritte. Wilson schloß die beiden schmalen Türen auf. Sie knarrten in den Angeln. Die Rechte des Bürgermeisters griff nach dem Sturmgewehr. Die Kühle des Metalls war für ihn beruhigend.
Tatum Wilson löste das Gewehr aus der Halterung und drehte sich mit der Waffe im Anschlag um.
Er hatte kein Licht gemacht und auch nicht die Vorhänge vor die Fenster gezogen. Auch von draußen fiel kaum Helligkeit durch die Scheiben. Der Halbmond war hinter den hohen Bäumen versteckt. Tatum Wilson trat einen Schritt vor. Jetzt, da er das Gewehr hatte, fühlte er sich wesentlich sicherer. Sein Herzschlag hatte sich wieder normalisiert, die Lippen waren zu einem Strich zusammengepreßt. Nun konnte der Eindringling kommen!
Und dann sah er den Schatten. Er kam von der offenen Tür zur Diele herein, und Wilson wollte schon einen Befehl schreien, als plötzlich das Licht aufflammte.
Für einen Herzschlag schloß der Bürgermeister geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte er das Gefühl, in einen Kübel mit Eiswasser getaucht worden zu sein.
Auf der Türschwelle stand sein Onkel.
Der Bruder seines Vaters.
So wie er gestorben war.
Ohne Kopf!
***
Tatum Wilson nahm das schreckliche Bild in sich auf, ohne es auch nur begreifen zu können. Die Panik, das Entsetzen, die Angst – all die Gefühle kamen mit ungeheuerer Macht.
Die Horrorgestalt
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