GK064 - Vögel des Todes
Der Lärm drohte ihn umzubringen.
Er hatte das Gefühl, sein Kopf müsse zerplatzen.
Zufrieden zischelnd standen die drei anderen Leichen da und sahen zu, was Carmen mit ihm machte.
»Carmen!«, krächzte Fernando. »Hör auf, Carmen! Bitte!«
Das Mädchen hatte kein Erbarmen mit ihm.
Der Schmerz im Hals wurde unerträglich. Die akute Atemnot ließ Fernando Cordobes' Körper unkontrollierte Zuckungen vollführen.
Er riss die Augen entsetzt auf.
Ganz nahe war das Ende.
Carmens bleiches, grausames Gesicht stieß ihn ab. Er ballte die Fäuste, verkrampfte sie, doch es war ihm nicht möglich, in das Gesicht zu schlagen, das er so sehr angebetet hatte. Es war Carmens Gesicht. Selbst wenn sie tot war, selbst wenn die Liebe dadurch ein jähes, schmerzhaftes Ende gefunden hatte, blieb sie doch seine Carmen.
Lieber wollte er sich erwürgen lassen, als mit seinen Fäusten in dieses Gesicht zu schlagen.
Sie ist nicht Carmen!, brüllte eine Stimme in ihm. Sie ist es nicht mehr. Sie ist der Teufel! Sie sieht nur aus wie dein Mädchen! Carmen ist tot! Du kannst ihr kein Leid zufügen!
Kette dich! Schlag zu! Rette dich, sonst stirbst du!
Nein! kämpfte Fernando in Gedanken verzweifelt mit sich selbst. Ich kann nicht! Ich kann es einfach nicht! Dann stirb, du Narr!
Ich will nicht sterben!
Dann schlag zu! Schlag endlich zu! Du hast nur noch wenige Sekunden zu leben! Schlag doch zu!
Fernando Cordobes schlug zu.
Mit aller Kraft, die ihm noch zur Verfügung stand. Mitten hinein in das Engelsgesicht, das er so innig verehrt und angebetet hatte.
Es knirschte hässlich, als das Nasenbein der Toten brach.
Fernando schlug in seiner Panik sofort wieder zu.
Im Gesicht des Mädchens platzte die Haut auf. Die klaffende Wunde war so tief, dass Fernando den bleichen Knochen des Schädels sehen konnte.
Sie ließ immer noch nicht von ihm ab.
Er musste ein drittes Mal zuschlagen.
Plötzlich bekam er Luft.
»Du hast mich geschlagen!«, kreischte Carmen vorwurfsvoll.
»Ich musste es tun!«
»Ich dachte, du liebst mich!«
»Du bist nicht mehr die, die ich geliebt habe!«
Fernando hustete und massierte seinen schmerzenden Hals.
»Sieh mich an!«, verlangte Carmen.
Er starrte auf den Boden.
»Nein!«
»Du sollst mich ansehen! Sieh doch, was du aus dem Gesicht gemacht hast, das du vergöttert hast!«
»Ich will dich nicht ansehen! Geh weg!«
»Du musst mich ansehen, Fernando Cordobes!«
Tatsächlich. Er musste. Irgendeine Kraft, gegen die er sich nicht auflehnen konnte, zwang ihn, den Kopf zu heben.
»O Gott!«, stieß Fernando erschüttert hervor. Carmen war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihr Gesicht war grauenvoll entstellt. Das Fleisch hatte sich teilweise vom Knochen gelöst. Die Augen quollen weit aus dem Schädel, während das zertrümmerte Nasenbein dieses abstoßende Gesicht zu einem ekelhaften Ganzen abrundete.
»Das hast du getan, Fernando!«, zischte Carmen, und die drei anderen Toten nickten beipflichtend.
»Nein!«, keuchte Fernando verzweifelt.
»Doch!«
»Nein, nein, ich wollte das nicht tun! Ich musste es doch tun! Ich hatte keine andere Wahl, Carmen! Du hättest mich sonst umgebracht!«
Verzweifelt schlug er die Hände vor die Augen und begann haltlos zu weinen.
Es verstrich eine lange Weile.
Immer noch presste Fernando Cordobes die Hände auf seine Augen. Aber er weinte nicht mehr. Er lehnte am kalten Felsen und fand nicht den Mut, die Hände von den Augen zu nehmen. Zu viel Grauenvolles hatte er gesehen.
Irgendwann nahm er schließlich doch die Hände herunter.
Verdattert schaute er sich um.
»Aber, aber das ist doch…«
Die Toten hatten sich zurückgezogen. So, als wäre all das Entsetzliche niemals vorgefallen, lag Carmen auf diesem glatten Stein, während die anderen Leichen sich da befanden, wo Fernando sie in der vergangenen Nacht entdeckt hatte.
In diesem Augenblick glaubte Fernando Cordobes berechtigten Grund zu haben, an seinem Verstand zu zweifeln.
***
Ich hatte herrlich geschlafen und erwachte voll Tatendrang. Vicky hatte den Schock von gestern inzwischen gut verdaut. Sie war vor mir aufgestanden und putzte sich im Bad soeben die Zähne.
Nachdem sie mit der Morgentoilette fertig war, nahm ich eine kalte Dusche. Im Frühstückszimmer des Hotels entwickelten wir einen gesegneten Appetit und räumten den Tisch so ab, als wäre ein hungriger Heuschreckenschwarm darüber hergefallen.
»Was steht heute auf dem Programm?«, fragte mich Vicky.
»Zwei Dinge«, erwiderte ich. »Und
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