GK078 - Das Todeslied des Werwolfs
sonst nicht überleben.«
Wieder stimmte Rack ein schauriges Geheul an. Dann knurrte und fauchte er. Er begann um sich zu schlagen.
»Es wird stärker!«, brüllte er. »Wird immer stärker, Dr. Cracken. Ich bin kaum noch Herr meiner Sinne. Es kommt über mich! Retten Sie sich. Retten Sie sich!«
»Beruhigen Sie sich, um Himmels willen, Mr. Rack!«, rief Dr. Cracken eindringlich. »Sie müssen sich beruhigen.«
Rack bellte und brüllte. Er zischte und begann wie ein Tier zu hecheln.
»Hunger!«, schrie er. »Ich habe Hunger. So gewaltigen, schmerzenden Hunger. Ich brauche Blut. Menschenblut! Dr. Cracken! Doktor! Wo sind Sie?«
»Ich bin hier!«
»Ich kann Sie nicht sehen!«
»Ich bin hier, Mr. Rack!«
»Fassen Sie mich nicht an!«, brüllte Ken Rack plötzlich gereizt. »Nicht anfassen! Sonst sind Sie verloren.«
Er bellte, jaulte und klapperte mit den Zähnen. Dann stieß er ein markerschütterndes Gebrüll aus, als würde ihm jemand ein glühendes Schwert in den Leib rennen.
Jäh brach dieser entsetzliche Schrei, der Vicky zutiefst erschreckt hatte, ab. Dann kam nichts mehr aus dem Lautsprecher. Nur noch das leise Rauschen des Geräts.
Wir schauten Dr. Cracken gebannt und verwirrt an.
Der Psychiater schüttelte den Kopf. »Mehr kommt nicht.«
»Warum hat er so grässlich aufgeschrien?«, wollte Vicky wissen.
»Keine Ahnung. Jedenfalls fiel er gleich nach diesem Schrei in eine tiefe Ohnmacht. Sie können jetzt sicherlich verstehen, weshalb ich mich in diesem Fall nicht an meine ärztliche Schweigepflicht gehalten habe. Ich trug mich schon mit dem Gedanken, zur Polizei zu gehen. Nun. Vielleicht werden Sie das jetzt für mich erledigen, Mr. Ballard.«
Ich war absolut nicht gegen die Polizei. Aber in diesem Fall bezweifelte ich doch, ob sie etwas gegen Ken Rack unternehmen konnte.
Die Tonbandaufzeichnung war zwar sehr eindrucksvoll, aber sie hätte nicht ausgereicht, um Ken Rack für immer ins Gefängnis zu bringen. Außerdem war das Gefängnis nicht der richtige Aufenthaltsort für einen Werwolf.
Ich beschloss, der Sache selbst nachzugehen. Ohne Hilfe der Polizei.
»Was war nach seiner Ohnmacht, Dr. Cracken?«, erkundigte sich Vicky.
»Danach war er äußerst friedlich. Er konnte sich kaum an etwas erinnern«, erzählte Dr. Cracken. »Er war wieder normal.«
Der Psychiater erklärte uns, dass es trotzdem nicht sicher sei, dass Ken Rack nun tatsächlich ein Werwolf wäre. Immerhin hätte er sich nicht verwandelt. Und es gibt geistig Kranke, die sich Dinge so fest einbilden können, dass sie auf jeden Fall selbst daran glauben. Es war möglich, dass Rack sich bloß einbildete, ein Werwolf zu sein. Es war möglich, dass er sich wegen dieser Einbildung derart beängstigend in dieser Praxis gebärdet hatte. Es war jedenfalls mit nichts bewiesen, dass Rack tatsächlich der Werwolf war, den wir zu finden hatten.
Trotzdem beschloss ich, Rack so bald wie möglich persönlich zu begegnen.
Es war anzunehmen, dass man ihm erzählt hatte, seine Schwester wäre einem Werwolf zum Opfer gefallen.
Es war auch möglich, dass er sich an diese Mordnacht nicht zurückerinnern konnte.
Möglicherweise hatte ihn dieser Umstand zu solchen Kombinationen verleitet.
Und er hatte sich mehr und mehr in diese Idee verrannt, wodurch er zu der Erkenntnis gelangt war, dass er der Werwolf war, der seine Schwester umgebracht hatte. Ein Schuldkomplex. Irgendetwas in der Richtung vielleicht. Dr. Cracken hätte dafür gewiss präzisere Formulierungen gehabt, doch ich wollte sie nicht hören.
Ich hatte einen Werwolf zu suchen.
Vielleicht steckte er in Ken Rack!
***
Kurz vor einundzwanzig Uhr verließen wir die Praxis des Psychiaters. Wir hatten den Fall oft genug gedreht und gewendet. Wir hatten über den Nachtwächter Hugo Brisson gesprochen, dem es gelungen war, den Werwolf zu verjagen. Wir hatten die ganze Angelegenheit nach allen Regeln der Kunst durchdiskutiert. Doch mit der Theorie war einem gefährlichen Monster nicht beizukommen.
Wir mussten handeln.
Das taten wir kurz vor einundzwanzig Uhr.
Wir fuhren nicht nach Hause in unsere neue Wohnung, sondern zu Ken Rack.
Er war schon wieder nicht oder noch immer nicht zu Hause.
Das Gebäude war einstöckig. Typisch englisch. Aus rotem Backstein gebaut. Schlicht. Mit vier Tannen im Garten.
»Gefällt mir nicht!«, brummte ich und linste zu den finsteren Fenstern. »Gefällt mir gar nicht.«
»Was, Tony?«, fragte Vicky.
»Dass der Gute nie zu Hause ist.«
»Du hast doch
Weitere Kostenlose Bücher