GK078 - Das Todeslied des Werwolfs
deshalb: »Sie deuteten vorhin an, Ken Rack hätte sich geradezu schockierend gebärdet, Dr. Cracken.«
Der Psychiater nickte.
»O ja. O ja, Miss Bonney. Schockierend, das ist genau das richtige Wort.«
»Was hat er getan?«, fragte Vicky interessiert.
Dr. Cracken schielte zur Ledercouch hinüber, auf der seine Patienten zu liegen hatten, wenn er mit ihnen seine Sitzungen abhielt.
»Es war… eigenartig«, sagte er gedehnt.
»Vermutlich hat er mit Ihnen über seine Schwester gesprochen«, sagte Vicky.
»Ja, das hat er.«
»Wie hat er sich dazu geäußert?«
Dr. Cracken holte tief Luft. Er schaute zuerst Vicky und dann mich an. Dann blickte er auf den Boden und sagte gepresst: »Es ist so erschütternd, dass ich kaum die richtigen Worte finden kann. Mr. Rack… Er dachte … Er glaubt, ein Werwolf zu sein. Er denkt, dass er seine Schwester ermordet hat, verstehen Sie? Er ist fest der Meinung, dass er seine Schwester zerfleischt hat.«
In mir schrillte die Alarmklingel.
Also doch.
Ken Rack!
Ich wollte nun alles über die Sitzung wissen und bat den Psychiater, uns nichts mehr zu verschweigen. Wenn Ken Rack der Werwolf war, mussten wir ihn vor sich selbst und die Menschheit vor ihm schützen.
»Wie kam er auf diese Idee?«, wollte Vicky wissen.
Dr. Cracken schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Dahinter bin ich noch nicht gekommen. Es dauert lange, bis man in die Psyche eines kranken Menschen vordringen kann. Meiner Meinung nach ist Mr. Rack schwer krank.«
»Geisteskrank«, sagte Vicky.
»Ich will mit Nachdruck klar stellen, dass Mr. Rack nicht verrückt ist!«, sagte der Seelendoktor sofort. »Er ist von einem Gedanken besessen…«
»Er könnte ebenso gut von einem bösen Geist besessen sein!«, warf ich ein.
»Vielleicht. Ich muss mich auf meine wissenschaftlichen Kenntnisse stützen, Mr. Ballard. Böse Geister existieren darin nicht. Vermutlich deshalb nicht, weil man sie mit Logik nicht erklären kann.«
»Er bildet sich also ein, ein Werwolf zu sein«, fasste ich zusammen.
»Ja«, sagte Dr. Cracken. »Ja.«
»Hat er Ihnen zu beweisen versucht, dass er die Wahrheit sagt?«, fragte Vicky.
»O ja, das hat er. Und diese Demonstration war das Schockierende für mich.«
»Was hat er getan?«, fragte ich interessiert.
Dr. Cracken erhob sich.
»Einen Moment. Ich habe unser Gespräch auf Tonband aufgezeichnet. Wenn Sie möchten, spiele ich es Ihnen gerne vor.«
Ich nickte ihm gespannt zu. Dass er uns soweit in Ken Racks Geheimnis vordringen lassen würde – damit hatten Vicky und ich nicht gerechnet.
Umso mehr erfreute uns die Tatsache, dass wir einen verantwortungsbewussten Psychiater gefunden hatten, der begriff, wie wichtig es für die Menschheit war, wenn man das Geheimnis, das einem ein Werwolf anvertraute, nicht für sich behielt.
Dr. Cracken kam mit einem kleinen, aber leistungsstarken Gerät und legte die bespielte Kassette ein.
Wir warteten nervös.
Dr. Sterling Cracken drückte auf den Wiedergabeknopf. Das Tonband begann Ken Racks Geheimnis zu lüften.
Wir hörten Dr. Crackens Stimme und erstmals auch Ken Racks Stimme. Es war die Stimme eines jungen Mannes. Selbstsicher. Hell. Unkompliziert. Sympathisch.
Es folgte die Begrüßung des Patienten.
Dr. Cracken gab uns zu verstehen, dass er von jedem Patienten und von jeder Sitzung mit deren Wissen Aufnahmen machte.
Rack schilderte seine Verfassung. Er klagte dem Doktor, wie miserabel er sich fühlte, seit seine Schwester nicht mehr lebte.
Wir blickten gebannt auf den kleinen Lautsprecher, der uns wiedergab, was sich heute Nachmittag hier in dieser Praxis ereignet hatte.
»Gleich kommt es!«, machte uns Dr. Cracken auf die Stelle aufmerksam, die wir nicht überhören sollten.
Er hätte sich diese Bemerkung sparen können. Uns entging absolut nichts. Nicht das geringste Geräusch.
Ken Rack wurde unruhig. Wir hörten ihn auf der Couch hin und her rutschen. Wir hörten, wie er sich wälzte. Wir hörten die eindringlich gesprochenen Worte von Dr. Cracken, der ihn zu beruhigen versuchte.
Aber Rack kam mehr und mehr in Fahrt. Er keuchte. Sein Atem ging ungemein schnell. Wir spürten seine Aufregung förmlich.
»Dr. Cracken!«, stieß er plötzlich heiser hervor. »Dr. Cracken! Ich halte es nicht mehr aus! Ich muss unbedingt mit jemandem darüber reden.«
»Was ist es denn, Mr. Rack?«, fragte der Psychiater. »Sie wissen, dass ich Ihr Freund bin und dass ich Ihnen helfen werde, so gut ich kann. Zu mir können Sie unumschränktes
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