GK225 - Die Puppen mit den Todeskrallen
keine Sehenswürdigkeiten, die Fremde hätten anlocken können, es gab kaum Gäste in den Gasthöfen. Fast schien es, als würde Wantage von der Welt gemieden.
Das Geräusch eines Automotors veranlaßte Ross, sich umzusehen.
Da kam ein altes Vehikel die Straße entlang geklappert. Ein vorsintflutliches Ding, das anderswo längst auf dem Schrottplatz abgestellt worden wäre. Nicht aber in Wantage. Hier hing man mit seinem Herzen an allen alten Dingen. Man brachte es nicht so schnell fertig, sich von seinem Besitz zu trennen.
Hinter der schmutzigen, zerkratzten Windschutzscheibe hockte ein verhutzeltes Männchen.
Krachend schaltete der Fahrer in den Leerlauf. Der schwarze Wagen hustete noch einmal und rollte dann genau neben Hector Ross aus. Die Seitenscheibe wurde nach unten gedreht, und ein mageres Gesicht, von unzähligen Falten durchfurcht, tauchte im rostigen Rahmen auf.
»Hector! Hector Ross! Welche Freude, dich wiederzusehen!« rief das Männchen.
Ross bückte sich. Ein paar Namen wirbelten ihm durch den Kopf, und dann hatte er den richtigen: »Harry Skipper!«
»Der bin ich«, rief das Männchen. Er war alt geworden, schien ziemlich krank gewesen zu sein. Vielleicht war er es noch. Ross erinnerte sich daran, daß Skipper früher ein volles Gesicht gehabt hatte, mit rosigen Backen und strahlenden Augen. Heute wirkten seine Augen stumpf, die Haut lag eingesunken über den Wangenknochen, die Augenhöhlen sahen aus, als wären sie mit grauer Kreide angemalt.
Skipper stieß die Tür auf. »Komm, Hector. Steig ein.«
Ross stellte seinen Koffer auf die Rücksitze und setzte sich dann neben das eingetrocknete Männchen. »Es tut mir leid, wegen deinem Vater…«, sagte Skipper mit gedämpfter Stimme.
Ross nickte stumm, während seine Backenmuskeln zuckten.
»Kommst du direkt aus Kanada?« wollte Skipper wissen.
»Ja«, sagte Ross einsilbig.
»Möchtest du, daß ich dich zum Sägewerk fahre?«
»Wenn es dir nichts ausmacht…«
»Hör mal, was soll denn der Quatsch, Junge. Wenn ich irgend etwas für dich tun kann, bin ich immer für dich da. Wirst du dir das merken?«
»Bist noch immer derselbe nette Kerl wie früher, Harry.«
Skipper hob die Schultern. »Wundert dich das etwa?«
»Ich weiß nicht.«
Skipper schaltete, und es krachte wieder im Getriebe. Der Wagen machte einen Sprung nach vorn. Ross riß es den Kopf zurück. Er hielt sich am Beifahrergriff fest. Harry Skipper war immer schon ein miserabler Autofahrer gewesen. Er gehörte zu den Leuten, die’s nie lernten.
»Wie war’s in Toronto?« erkundigte sich Skipper, während sie aus Wantage hinausfuhren.
»Schön. Man kann da eine Menge Geld verdienen.«
»Wolltest du für immer drüben bleiben?«
»Darüber war ich mir noch nicht im klaren«, antwortete Ross. »Darf ich dich was fragen, Harry?«
»Verdammt noch mal, was soll denn diese Förmlichkeit? Frag, wenn du was wissen willst – aber frag nicht erst, ob du was fragen darfst!«
»Du hast mal besser ausgesehen. Das ist noch nicht allzu lange her. Geht’s dir nicht gut?«
Skipper behielt die Straße im Auge, während er antwortete: »Ich hab’s seit einiger Zeit mit den Nieren. Die wollen nicht mehr so richtig arbeiten, verstehst du? Eine Sache, die man leider verdammt ernst nehmen muß. Jetzt muß ich zweimal in der Woche ins Krankenhaus zur Dialyse. Da hängen sie mich für acht Stunden an ‘ne künstliche Niere. Entschuldige, Hector. Ich möchte dich damit nicht belästigen. Du hast deine eigenen Sorgen.«
»Kann man gegen diese Krankheit denn gar nichts tun?« fragte Ross teilnahmsvoll. »Ich meine etwas, was dich wieder völlig auf die Beine bringt.«
»Man kann mir eine Fremdniere einpflanzen.«
»Dann wärst du wieder okay?«
»Wenn es zu keinen Abwehrreaktionen kommt – ja.«
»Mensch, warum entschließt du dich nicht zu dieser Operation?«
»Entschlossen habe ich mich schon lange dazu…«
»Aber?«
»Es gibt nicht so viele Nieren, das ist der Haken. Man hat mich auf die Warteliste der Eurotransplant gesetzt. Das ist eine zentral gesteuerte Organisation, die die Patienten in ganz Europa mit solchen Organen versorgt… Ich muß eben Geduld haben.«
»Ich halte dir die Daumen, daß alles gutgeht«, sagte Hector ernst. »Du wirst es bald erfahren.«
Die Männer schwiegen eine Weile. Die Straße schlängelte sich durch den dichten Laubwald. Ächzend rumpelte der alte Wagen von einem Schlagloch in das andere.
»Hast du schon irgendwelche Pläne?« erkundigte sich
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