GK225 - Die Puppen mit den Todeskrallen
auf. Er kam zu mir.
»Na, Tony.«
»Sie sind uns nahe, was?« sagte ich, während ich meinen Blick über die Waldfront schweifen ließ.
»Ja. Sie treiben sich wieder in der Nähe des Sägewerks herum. Wollen wahrscheinlich erst mal die Lage peilen.«
»Hast du einen von ihnen gesehen?«
Mr. Silver schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. »Wenn ich erst mal so ein Scheusal entdeckt habe, kauf ich mir’s auch, darauf kannst du dich verlassen, und dann muß es mir sagen, wer sein Herr ist, denn irgend jemand muß hinter diesen Puppen stecken.« Der Hüne blies seinen breiten Brustkorb auf. »Ich habe das Gefühl, daß es nicht mehr lange dauert, bis wieder was passiert.«
Obwohl die Sache auch ein schlimmes Ende nehmen konnte, sagte ich: »Das kann ich kaum noch erwarten!«
***
Im darauf folgenden Morgengrauen ging ein Unwetter nieder, daß wir glaubten, der Weltuntergang wäre gekommen. Ein heftiger Sturm tobte ums Haus. Blitze schlugen in die Bäume ein. Krachend brachen Äste. Ohrenbetäubender Donner rollte über das Blockhaus hinweg, und Wassermassen stürzten vom Himmel herab, als hätte eine neue Sintflut ihren Anfang genommen.
Zwei Stunden ging das so. Dann ebbte der Lärm etwas ab. Der Wasserschleier vor den Fenstern lichtete sich, und bald stachen die ersten Sonnenstrahlen zum Fenster herein.
Hector kratzte sich mit gerümpfter Nase hinter dem Ohr. »Jetzt ist der Bach, der unsere Säge antreibt, wahrscheinlich wieder total verwildert. Schlamm, Geröll, morsches Holz – alles schleudert ein solches Unwetter ins Bachbett. Das kann so weit gehen, daß sich das Wasser einen anderen Weg suchen muß.«
Ich machte mich erbötig, den ganzen Kram aus dem Bachbett zu holen, bekam von Ross eine Schaufel, eine Spitzhacke und hohe Gummistiefel, die wie angegossen paßten.
Als ich das Blockhaus verlassen wollte, ging Mr. Silver mir nach. Er sah mich mit seinen perlmuttfarbenen Augen durchdringend an und raunte mir zu: »Denk an das, was wir gestern gesprochen haben, Tony. Und paß auf dich auf.«
Ich nickte blinzelnd und ging.
Es war ein verdammt harter Job, den ich mir ausgesucht hatte. Dicke Aststücke hatten sich im Bachbett verkeilt. Das Wasser drückte kräftig gegen sie. Zweige und Wurzeln saßen im Schlamm fest.
Der Vormittag verflog in Windeseile. Ich hatte Hunger, aber ich kehrte nicht zum Sägewerk zurück. Erst wollte ich meine Arbeit fertigmachen. Viel war bald nicht mehr zu tun, und als ich das letzte Hindernis aus dem Bett geräumt hatte, richtete ich mich zufrieden auf. Geschafft.
Mein Kreuz schmerzte, aber ich war stolz auf das, was ich geleistet hatte. Als ich die Schaufel aufnehmen wollte, spürte ich plötzlich einen Blick im Nacken.
Ich ließ mir nichts anmerken, tat sehr geschäftig, drehte ganz vorsichtig den Kopf und blickte zurück. Zwischen zwei dickstämmigen Bäumen schimmerte etwas Graues hindurch.
Ein Beobachter, der nicht entdeckt werden wollte. Sofort stand mein Entschluß fest: den wollte ich mir aus der Nähe ansehen.
***
Vorsichtig schlich ich durch den Wald. Ich hatte so getan, als würde ich den Heimweg antreten. Doch sobald ich sicher sein konnte, daß der Beobachter mich aus den Augen verloren hatte, stellte ich Schaufel und Spitzhacke ab und beschrieb, immer in der Deckung der Bäume, einen großen Bogen, um von hinten an die Person ranzukommen.
Behutsam setzte ich Fuß vor Fuß, stets darauf achtend, auf keinen morschen Ast zu treten, der mich knackend verraten hätte. Ich kam relativ schnell vorwärts und entdeckte die Gestalt bald wieder.
Je näher ich kam, desto langsamer wurde ich.
Bald lagen nur noch wenige Meter zwischen uns. Das Grau, das mir aufgefallen war, war ein Regenmantel, dessen Kragen hochgeschlagen war. Auf dem Kopf trug die Person einen gleichfarbigen Hut.
Zwei Bäume noch, dann würde ich der Gestalt meine Hand auf die Schulter legen können. Ich glitt am Stamm des ersten vorbei und erreichte den zweiten. Dann trat ich schnell zur Seite.
Die Überraschung würde mir vorzüglich gelingen, dessen war ich sicher. Mit scharfer Stimme fragte ich: »Was suchen Sie hier?«
Ein heiserer Schrei. Die schlanke Gestalt wirbelte herum. Große, meergrüne Mädchenaugen starrten mich entsetzt an.
Sie war bildhübsch, hatte eine zierliche Nase, volle Lippen, ein weiches Kinn. Ihre schlanke Hand legte sich auf den üppigen Busen. »Großer Gott, wie können Sie mich nur so furchtbar erschrecken?« fragte sie mich vorwurfsvoll. »Das Herz kann einem
Weitere Kostenlose Bücher