GK231 - Der Herr der Ratten
der Arzt.
»Verschwunden«, antwortete Ali achselzuckend. »Er war plötzlich nicht mehr da. Genau wie die Ratte. Ich hatte furchtbare Angst, Doc.«
»Das kann ich mir denken.«
»Das Tier hat mich voller Feindschaft angeglotzt. Es war ihm anzusehen, wie gern es mich zerfleischt hätte. Ich kann mir nicht erklären, wieso es nicht dazu gekommen ist.«
»Du solltest froh sein, daß dir das erspart blieb«, sagte der Doc.
»Ich bin froh«, meinte Ali. »Aber ich muß mir trotzdem meine Gedanken darüber machen… Was hat mich vor einem solchen schrecklichen Ende bewahrt? Oder hatte das alles bloß eine Warnung sein sollen? Ich versuchte, die Vision meines Begräbnisses zu deuten. Kann es nicht sein, daß mir jemand auf diese Weise mitteilen wollte: ›Hau ab, sonst mußt du sterben!‹ War das Erscheinen dieser Riesenratte nicht auch als Warnung gedacht? Etwa so: ›Wenn du noch mal auf die Insel kommst, passiert das mit dir!‹ Was meinen Sie, Doc?«
»Ich möchte vorläufig dazu noch keine Stellung nehmen«, antwortete Longford ausweichend.
Alis Blick hing flehend an den Augen des Arztes. »Sie glauben mir doch, oder? Sie denken nicht auch, daß ich nicht alle Tassen im Schrank habe…«
»Ich bin davon überzeugt, daß du diese Dinge auf der Insel gesehen hast, Ali. Nun müssen wir beide versuchen, deine Erlebnisse zu analysieren…«
»Sie sind nicht in meinem Geist entstanden, Doc!« sagte Ali gereizt.
»Das habe ich auch nicht behauptet. Es geht mir darum, daß sich diese gewiß sehr schrecklichen Erlebnisse nicht in deinem Unterbewußtsein manifestieren, verstehst du? Denn wenn das passiert, trägst du sie dein Leben lang mit dir herum. Dann wirst du sie nie mehr los.«
Der Arzt erhob sich und ging nach nebenan.
Als er zurückkam, hatte er eine Einwegspritze in der Hand. »Mach deinen rechten Arm frei«, bat er Ali Golombek.
»Wozu? Ich fühle mich wohl, Doc. Warum wollen Sie mir eine Spritze verpassen?«
»Du merkst es selbst nicht, Ali, aber du hast gewissermaßen einen Knoten in der Seele…«
»Sie denken also doch, ich bin verrückt!« schrie Ali wütend.
»Aber nein. Das Serum soll lediglich deine innere Verkrampfung lösen. Nun komm schon. Tu, was ich sage. Ich will schließlich nur dein Bestes.«
Ali schob den Ärmel hoch. Er spürte den Stich und kniff die Augen zusammen.
»So«, sagte der Arzt in beruhigendem Tonfall. »Vorläufig wirst du nicht auf die Insel zurückkehren. Ich werde veranlassen, daß man dir eine Einzelkoje gibt, und du brauchst bis auf weiteres keinen Handgriff mehr zu tun. Statt dessen sehen wir einander von nun an einmal täglich. Dann setzen wir uns für eine Stunde zusammen und reden über die Insel, einverstanden?«
»Die Insel ist gefährlich. Nicht wegen des Plutoniumstaubs…«
Der Doc warf einen Blick durch das Bullauge. »Dabei sieht sie so friedlich aus von hier.«
»Sie ist tückisch. Niemand sollte sie mehr betreten«, sagte Ali Golombek ernst. »Ich fühle, daß dort drüben noch schlimme Dinge geschehen werden, Doc.«
»Weißt du, wie man sie verhindern könnte?« Longford lotete den Patienten von allen Seiten aus, ohne daß dieser es merkte.
»Ich weiß nur, daß nichts geschieht, solange niemand seinen Fuß auf Yvonne setzt.«
Der Doc legte die Einwegspritze beiseite. »Du kennst den Grund, weshalb wir hier sind, Ali.«
»Ja. Die Eniwetokesen wollen auf ihr Atoll zurückkehren. Man sollte ihnen davon abraten.«
»Wie stellst du dir das vor, Ali? Das geht nicht. Du weißt, daß der Iroij dieser Leute zweimal in Washington interveniert hat. Man hat diesen Leuten zugesagt, daß sie nach Eniwetok zurückkehren dürfen, sobald das Atoll sauber ist. Das kann man jetzt nicht mehr rückgängig machen. Die Insulaner kämen sich genarrt vor.«
Ali Golombek erhob sich mit ernster Miene. Eine tiefe Falte kerbte sich über der Nasenwurzel in seine Stirn. »Dann«, sagte er mit belegter Stimme, »wird es auf diesem Atoll schon bald zu einer schrecklichen Katastrophe kommen!«
***
Mein Telefon läutete.
»Ballard«, meldete ich mich. Es war wieder Frank Esslin. Diesmal klang er nicht so aufgekratzt wie beim letztenmal, vor ein paar Tagen.
»Du wirst mich steinigen, fürchte ich«, sagte er ernst.
»Was ist denn schiefgelaufen?« wollte ich wissen.
»Ich kann nicht nach London kommen, Tony.«
»Ich habe den ersten Stein schon in meiner Hand!«
»Ich muß die Europareise verschieben. Ein WHO-Auftrag ist mir dazwischengekommen.«
»Aufgeschoben ist
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