GK323 - Der Selbstmord-Bringer
verständnisvoll.
»Sie mögen sie, Mr. Ballard. Ich kann verstehen, daß Sie sie verteidigen. Trotzdem werden Sie mir recht geben müssen, wenn ich behaupte, daß kein normaler Mensch plötzlich Amok läuft. Sie hat einen Mann niedergestochen.«
Ich beugte mich vor und faßte nach dem Arm des Arztes. »Hören Sie, Dr. Nunes, Sie dürfen in diesem Fall nicht von der Voraussetzung ausgehen, das Mädchen wäre ganz plötzlich verrückt geworden. Das stimmt nicht.«
Der Arzt sah mich ungläubig an. »Würden Sie mir das bitte näher erklären, Mr. Ballard?«
»Ich will es versuchen.«
Ich erzählte dem aufmerksam lauschenden Arzt von den geheimnisvollen Selbstmorden.
Bisher hatten sich vierundzwanzig Personen das Leben genommen. Sie waren kurz zuvor wahnsinnig geworden, hatten irgendein Gespenst gesehen: die Medusa.
Zumindest war das ganz sicher in Sam Hydes Fall so gewesen.
Ich brachte die Selbstmorde mit Dolores Peels Anfall in Verbindung.
Ich war davon überzeugt, daß hier ein Zusammenhang bestand, wenn ich es auch nicht beweisen konnte.
»Irgend jemand hat sie zu dieser schrecklichen Handlung, zu diesem furchtbaren Amoklauf gezwungen«, sagte ich grimmig. »Wie, das ist mir vorläufig noch ein Rätsel. Noch, Doktor. Aber ich werde es herausfinden.«
Dem Arzt fiel es schwer, zu glauben, was ich ihm erzählte.
»Darf ich Dolores noch mal kurz sehen, bevor ich gehe, Dr. Nunes?« fragte ich.
»Natürlich, Mr. Ballard. Sie schläft jetzt. Wir haben ihr eine Injektion gegeben.«
Wir erhoben uns und verließen das Büro des Arztes.
Wir fuhren mit dem Paternoster eine Etage abwärts und gingen dann einen in sterilem Weiß gehaltenen Gang entlang.
An der Tür stand 33 A.
Dr. Nunes öffnete sie. Eine Krankenschwester stand am Bett der Schlafenden.
Ich trat nicht ein. Dolores schlief mit einem friedlichen, gelösten Ausdruck um die vollen Lippen.
Ich wandte mich an den Arzt.
»Rufen Sie mich an, sobald es ihr besser geht, Doktor! Ich möchte mit ihr reden.«
»Selbstverständlich«, sagte Dr. Nunes. »Machen Sie sich inzwischen nicht allzu viele Sorgen um das Mädchen. Es ist bei uns gut aufgehoben.«
»Das weiß ich. Vielen Dank, Doktor.«
Ich verließ das Krankenhaus und fuhr nach Hause. Sergeant Hatch rief mich an und konfrontierte mich mit der nächsten Hiobsbotschaft: Rod Flynn hatte sich in seiner Zelle erhängt. Ich legte seufzend auf. Da schrillte das Telefon schon wieder.
»Hallo, Tony Ballard!« sagte eine höhnische Stimme, die ich bereits kannte. Ich schaltete sofort das Tonbandgerät ein und zeichnete auch diesen Anruf für den Erkennungsdienst von Scotland Yard auf.
»Wie geht’s?« fragte der Spötter.
»Was wollen Sie?«
»Sie machen nicht gerade den fröhlichsten Eindruck«, sagte der Mann lachend. »Sie arbeiten zuviel. Und heute mittag soll es für Sie ja zu einem ganz entsetzlichen Erlebnis gekommen sein, wie ich hörte.«
»Sie stecken hinter dieser Schweinerei, geben Sie es zu!«
»Dolores Peel soll plötzlich verrückt geworden sein, wie?« fragte der Mann kichernd. »Armes Mädchen. Sind Sie immer noch nicht der Meinung, daß es besser wäre, die Ermittlungen im Sande verlaufen zu lassen? Lassen Sie endlich die Finger von der Sache, Ballard! Ich meine es gut mit Ihnen.«
»Ich kann verzichten.«
»Soll ich Dolores Peel erst etwas antun, damit Sie begreifen, wie aussichtslos Ihre Position im Kampf gegen mich ist?«
Ich wollte aufbrausen, doch der Anrufer hatte bereits den Hörer eingehängt.
Dolores darf nichts passieren, sagte ich mir.
Dieser Mann hatte zweifellos die Macht, auch Dolores Peel in den Tod zu treiben.
Der Verbrecher hatte mir heute eine kleine Kostprobe seiner dämonischen Fähigkeiten geliefert.
Das Ganze hatte demnach nicht mehr als eine Warnung sein sollen. Es war eine eindrucksvolle Warnung gewesen.
Ich zermarterte mir den Kopf, wie ich verhindern konnte, daß Dolores noch einmal in eine solche Situation geriet. Ich kam zu keinem Ergebnis.
Seufzend mußte ich mir eingestehen, daß es diesmal so aussah, als hätte ich mich an einen Fall herangewagt, der für mich viel zu groß war und der mich demnächst überrollen würde wie ein riesiger Felsen.
***
Drei Tage später befand sich Dolores Peel auf dem Wege der Besserung.
Ich war ein paarmal bei ihr gewesen. Ich versuchte ihr Mut zuzusprechen, doch sie war verzweifelt.
Sie schämte sich für das, was sie getan hatte, obwohl es gegen ihren Willen geschehen war. Sie redete sich ein, tatsächlich
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