GK363 - Die Toteninsel
noch mal, was war das?
Woodrow Cole bemerkte, daß ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief, und das ärgerte ihn maßlos.
Zum Teufel, hatte ihn Olivia mit ihrer dummen Angst angesteckt? Er vergaß den Drink, stellte die Flasche weg und brachte im Augenblick den Mut nicht auf, den unheimlichen Geräuschen auf den Grund zu gehen.
***
Frank Esslin sprang auf, als wäre ein Stromstoß durch seinen Stuhl gerast.
»Charlton!« keuchte er.
Und schon stürmte er aus der Hotelbar. Als er den Bürgersteig erreichte, stieß er mit einem Passanten zusammen.
»Verdammt noch mal, können Sie denn nicht aufpassen!« ärgerte sich der Mann.
»Verzeihung!« stieß Frank hastig hervor.
Er drückte den Entrüsteten mit beiden Händen zur Seite und hastete weiter.
»Charlton!« rief er mit belegter Stimme.
Doch der hochgewachsene Mann, dem der Ruf galt, reagierte nicht. Er ging ohne Eile die Straße entlang, blieb nicht stehen, drehte sich nicht um, ging einfach weiter.
»Charlton!«
Frank lief zwischen den Leuten Slalom. Einige schüttelten den Kopf. Andere blieben stehen und sahen ihm nach.
Nur noch sieben Yards.
Frank Esslin forcierte sein Tempo. Abermals rief er Charltons Namen. Sechs Yards, Fünf. Vier .
Augenblicke später hatte der WHO-Arzt den Mann eingeholt. Er griff nach dessen Schulter und drehte ihn um.
Der Mann war nicht Charlton Leachman. Er hatte wohl eine große Ähnlichkeit mit diesem, war jedoch nicht der Konzertpianist.
»Sagen Sie mal, was fällt Ihnen ein?« herrschte der Mann Frank Esslin empört an. »Haben Sie den Verstand verloren?«
»Es tut mir leid. Ich hielt Sie für einen Freund.«
»Sie fallen über mich her…«
»Ich sagte doch, es tut mir leid. Es war ein Mißverständnis. Ein Irrtum.«
»Ich sollte Sie ohrfeigen!«
»Jetzt reicht es aber!« erwiderte Frank gereizt.
»Ich verbitte mir diesen Ton!«
»Sie haben sich gar nichts zu verbitten!«
»Das wird ja immer schöner. Zuerst überfallen Sie mich, und dann darf ich nicht einmal ein Wort sagen!«
Frank machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, rutschen Sie mir den Buckel runter!«
»Ich werde Ihnen Ihren frechen Mund gleich schließen, Sie impertinenter Kerl!« schrie der Mann und ballte die Hände zu Fäusten.
Immer mehr Leute blieben stehen. Sie bildeten einen Kreis um Frank Esslin und dessen Kontrahenten.
»Sie sollten Vernunft annehmen und weitergehen«, sagte Frank.
»Sie haben mich beleidigt!« schnaubte der Mann.
»Wenn Sie denken, sich mit mir hier vor allen Leuten prügeln zu können, haben Sie sich geschnitten. Ich werde mich nicht wehren.«
»Weil Sie ein Feigling sind!«
»Es ist mir gleichgültig, was Sie von mir denken!«
»Ich werde Ihnen Ihre Frechheiten abgewöhnen!«
»Okay. Schlagen Sie zu. Vielleicht fühlen Sie sich hinterher besser.« Frank hielt dem Mann das Kinn hin.
Aber der Faustschlag blieb ihm erspart. Knurrend ließ der Mann die Fäuste sinken und sagte, er wolle sich an Frank nicht die Hände schmutzig machen, denn das wäre dieser nicht wert.
Die Leute gingen enttäuscht ihres Weges, und Frank Esslin kehrte in die Hotelbar zurück.
Er blickte mich und Mr. Silver kopfschüttelnd an. »Ich fange schon an, Gespenster zu sehen.«
»War es nicht Charlton Leachman?« fragte ich.
»Nein. Der Mann sah ihm nur ziemlich ähnlich.« Frank lächelte verlegen. »Er hätte mir am liebsten die Zähne eingeschlagen, so wütend war er, weil ich es gewagt hatte, ihn zu belästigen. Manche Menschen scheinen den ganzen Tag auf Streit aus zu sein. Bei der kleinsten Kleinigkeit gehen sie hoch. Eine Entschuldigung lassen sie nicht gelten, denn die würde ihnen ja die Gelegenheit zum Streit wieder zunichte machen.«
»Wie sieht Leachman eigentlich aus?« wollte Mr. Silver wissen.
»Du meinst, wie sah er aus«, korrigierte ich ihn.
»Nein, wie sieht er aus, denn wenn Franks Verdacht stimmt, weilt er ja wieder unter uns.«
»Ist auch wieder wahr«, sagte ich.
»Ihr solltet ihn eigentlich kennen«, meinte Frank. »Schließlich war der Mann eine Berühmtheit.«
»Beschreib ihn trotzdem«, bat ich.
Frank skizzierte mit präzisen Worten das Aussehen des Konzertpianisten, und nun erinnerte ich mich sehr deutlich an dieses Gesicht, das mir hin und wieder in der Zeitung aufgefallen war.
»Charlton Leachman scheint nicht der einzige zu sein, der aus dem Totenreich zurückgekehrt ist«, sagte Frank danach zu meinem großen Erstaunen.
»Was gibst du da von dir?« fragte ich aufhorchend.
»Es stand
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