GK446 - Der Geisterhenker
losließ, riß er sich mit einem jähen kräftigen Ruck los.
»Gnom!« zischte der Junge. »Um Himmels willen bleib hier!«
Aber der Gedrungene war nicht zu halten. Torsten Klenke hatte den Eindruck, der Gnom wollte sich rächen. Jetzt watschelte er nicht mehr. Mit schnellen Bewegungen eilte er auf die offene Tür zu.
Torsten schrieb den Kleinen ab.
Mit einem aggressiven Knurren machte sich der Gnom bemerkbar. Der Mann im Raum, dem diese feindselige Haltung galt, sprang bestürzt auf. Er gehörte zum Wachpersonal, trug einen braunen glänzenden Lederwams, einen Degen in der Scheide und einen Dolch im Gürtel.
Nach dem Dolch griff er und riß ihn heraus.
Der Gnom fletschte die Zähne. Wie eine Gummimasse verformte sich sein Gesicht. Die gelben Augen traten weit hervor, und aus den Fingerspitzen wuchsen gefährliche Stacheln.
Der Wächter stürzte sich auf das Wesen.
Torsten Klenke stand an der Tür und verfolgte, was passierte, mit gespannter Miene. Sein neu gewonnener Freund entpuppte sich als ein Bewegungsphänomen. Obwohl der Gnom plump und schwerfällig aussah, zuckte er im Raum blitzschnell hin und her. Der Dolch verfehlte ihn mehrmals. Das machte den Wächter wütend. Er zog auch seinen Degen aus der Scheide. Mit beiden Waffen griff er den Gedrungenen an.
Der Kleine wich der schlanken Degenklinge im allerletzten Moment aus. Da zuckte der Dolcharm vor.
»Gnom!« keuchte Torsten Klenke erschrocken.
Der gewarnte Kleine wirbelte zur Seite und hieb mit den stacheligen Fingerspitzen zu. Der Wächter brachte sich mit einem erschrockenen Sprung davor in Sicherheit. Die Stacheln des Kleinen schienen äußerst gefährlich zu sein. Möglicherweise war auch Gift dran.
Der Wächter stieß gegen den schweren Tisch, der in der Mitte des Raumes stand. Er stützte sich darauf, war einen Moment gehandicapt, und diese Chance ließ sich der Gnom nicht entgehen.
Er flitzte auf den Gegner zu.
Seine Hände waren nach vorn gestreckt.
Schon hieben die Dornen in das Fleisch des Wächters. Der Mann riß die Augen weit auf. Er wollte vor Schmerz brüllen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Seine Gesichtshaut färbte sich blau. Der Mann vertrocknete vor Torsten Klenkes fassungslosen Augen, wurde zu einer dürren blauen Mumie und brach zusammen, nachdem der Gnom seine Hände von ihm zurückzog.
Jetzt wieder schwerfällig, drehte sich der Kleine um.
»Wie… wie hast du das fertiggebracht?« fragte Torsten verdattert.
Der Gedrungene grunzte.
»Laß mich deine Hände sehen, Gnom«, verlangte Torsten und schaute sich die Finger an. Die tödlichen Stacheln waren verschwunden. Der Junge hatte harmlose schwielige Hände vor sich. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Also wenn ich das nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es nicht glauben.«
Der Gnom drückte ihm den Strick in die Hand, und sie setzten ihren Weg fort. Feuerschein flackerte ihnen entgegen. Der Gedrungene wurde unruhig und ängstlich. Er grunzte und winselte. Feuer schien er nicht vertragen zu können. Aber daran mußten sie vorbei, soviel hatte Torsten Klenke herausgefunden.
Der Kleine hielt die Hände vor die gelben Augen und versteckte sich hinter Torsten. Sie stiegen mehrere Stufen hinunter. Ein rötlichgelber Schein erhellte das Verlies. Wasser plätscherte, und irgendwo drehte sich ächzend ein Rad. Das Feuer loderte in einer großen Metallschale. Der Gnom achtete darauf, daß zwischen ihm und dem Feuer stets Torsten war. Auf diese Weise geschützt, kam er an der Feuerschale vorbei, was ihm ansonsten vermutlich nicht möglich gewesen wäre.
Sobald der Gnom mit Torstens Hilfe dieses Hindernis überwunden hatte, übernahm er wieder die Führung.
Es gab einen Geheimgang, der aus dem Verlies führte. Der Gnom kannte ihn und brachte Torsten dorthin. Ein Schrank stand vor der Geheimtür. Alt und aus schwerem, massivem Holz.
Der Kleine stemmte sich dagegen, vermochte den Schrank aber allein nicht von der Stelle zu rücken.
»Warte«, sagte Torsten. »Ich helfe dir, Gnom.«
Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, den Schrank beiseite zu schieben. Vor ihnen gähnte eine schwarze Öffnung.
»Wohin kommen wir da?« fragte Torsten.
Der Gedrungene grunzte und machte mit der Hand ein Zeichen, das wohl heißen sollte, Torsten möge sich beeilen.
»Ja, ja, ich geh’ ja schon«, sagte der Junge. Er folgte dem Kleinen und hoffte, daß ihre Flucht nicht bemerkt würde. Außerdem hoffte er, daß der Gnom ihm verraten konnte, wie er zur Erde
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