Glaenzende Geschaefte
Wohnen aus, was?« Er schien angesichts dieses technischen Aufwands sein Entführungsopfer fast aus den Augen zu verlieren, stoppte den Käfer, stieg aus, lief die Hausfront auf und ab, bis es ihm endlich bewusst wurde: »Kameras. Überall Kameras. Schöne Scheiße, Mensch, ich werde gesucht!«
»Ich doch auch. Wenn ich das mal so sagen darf.« Löhring versuchte zu retten, was zu retten war, bevor Kellermann die Falle erkannte, in die er ihn locken wollte. Es war ihm gelungen, trotz der Knebel mit beiden Händen die Scheibe herunterzukurbeln, und er fragte so beiläufig wie möglich aus dem Beifahrerfenster: »Und? Die sind doch nicht alle an, die Kameras, wir kommen doch unerkannt an die Tür, oder?«
Kellermann spähte in die Linse eines Gerätes, umkreiste es, inspizierte es erneut von allen Seiten. Dann ging er zurück zum Fahrzeug, öffnete die Beifahrertür und beugte sich über Löhring: »Ich binde Sie jetzt los. Und wenn wir da gleich zur Tür gehenund klingeln, dann können Sie verdammt sicher sein, dass meine Knarre Tuchfühlung mit Ihnen hat, Mann.«
Fünf Minuten später standen sie vor der Leiche. Das Blut floss immer noch aus dem Kopf. Die Blutlache hatte bereits alle Papiere auf dem Schreibtisch durchtränkt, sodass man keinen einzigen Buchstaben mehr darauf erkennen konnte, und nun breitete sie sich langsam Richtung Tischkanten aus, war in Bewegung, so als würde immer noch etwas leben am toten Kesch, so als habe er noch Pulsschlag. Man konnte das Blut riechen. Warm, wie es noch war, hatte es eine erdig-süßliche Note – nicht einmal unangenehm, fand Löhring.
Nachdem sich auf ihr Klingeln hin niemand gemeldet hatte, das Haus wie ausgestorben wirkte, waren sie hinten herumgelaufen, in der Hoffnung, vielleicht jemanden auf der Terrasse anzutreffen. Denn nie und nimmer hätte Kesch bei Abwesenheit sein Haus unbeaufsichtigt gelassen. Sie waren sich vorgekommen wie die Diebe. Die große Glastür zum Arbeitszimmer war halb offen gewesen, und Kellermann hatte als Erster den Tatort betreten. Ihm wurde schon beim Anblick der Leiche schlecht, und er übergab sich noch im Rosenbeet.
Nun stand er mit Löhring am Schreibtisch, starrte auf das Blut und sagte: »Nein. Ich glaub’s nicht. Der hat sich nicht umgebracht, der ist abgeknallt worden.«
Löhring bekam es mit dem Schrecken zu tun, denn er ahnte, was bald passieren würde: der Teppichboden. Mein Gott, der Teppichboden würde gleich in Mitleidenschaft gezogen werden. Also ging er in die Knie, die Beine versagten ihm sowieso in diesem Moment, und er breitete hastig einige »New york Times« vom Stapel auf dem Boden in mehreren Lagen unter dem Schreibtisch aus. Das Gratisabonnement der Tageszeitung hatte er selbst seinem Vermögensverwalter vor nicht allzu langer Zeit besorgt. Das war ein weiser Entschluss gewesen, ging es Löhring durch den Kopf, als er die Seiten entfaltete wie im Wahn. Die »New york Times« war jetzt Rettungsanker, lenkte ab, vomEntsetzen, von der Angst, von der Übelkeit, die in ihm hochkam, wie manchmal mitten in der Nacht. Man sagte ihm zwar nach, er gehe über Leichen, aber einem veritablen, frisch erschossenen Exemplar war er noch nie begegnet.
Die Zeilen verschwammen vor seinen Augen. Er versuchte, sich zusammenzureißen. In den letzten Stunden hatte er schließlich alle seine Tabletten aufgebraucht und mehr geheult als in den vergangenen zwanzig Jahren. Was er nun, auf allen vieren unter diesem Schreibtisch, vor allem brauchte, waren ein unverduselter, klarer Kopf, souveräne Professionalität, Zeit zur Verarbeitung der Faktenlage und zur anschließenden strategischen Neuaufstellung. Er bekam einen Tropfen Blut ab, der ihm warm und zäh hinten in den Hemdkragen lief.
Kesch schien gerade erst verschieden zu sein. Der Kopf lag mit der Wange auf der Schreibtischunterlage, die Brille war nur leicht verrutscht, und sein letztes Mienenspiel war nicht einmal unentspannt. Er guckte seltsam neutral, fast schon verträumt mit leicht verdrehten Augen auf einen alten Sekretär an der seitlich gegenüberliegenden Wand. Seine rechte Hand umklammerte eine Pistole.
Das eigentlich Beunruhigende an der ganzen Sache, einmal abgesehen vom Todesfall, war für Löhring, dass an sein Geld erst einmal nicht zu denken war, dass alle Pläne plötzlich nichtig waren. Kesch war tot und jede Chance dahin. Wahrscheinlich würde er das Geld, das er bei ihm investiert hatte, nie wiedersehen. So, genau so sah wohl ein point of no return
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