Glaesener Helga
Sie sich doch an was?«
»Nicht wirklich.«
Bruno gab ein skeptisches Geräusch von sich. »Wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Eine Frau sollte man mit so was nicht behelligen. Mord! Die sind gefährlich, das sag ich Ihnen. Und Sie sind doch ’ne echte Dame. Man sollte Sie da ganz raushalten. Lad es ab hinter der Hütte, hat mein Vater immer gesagt, wenn was Böses passiert ist. Denk nich mehr dran, und das Leben geht weiter …«
»Ich danke Ihnen für Ihre Anteilnahme, Bruno.«
»Tun Sie einfach, als wär’s nie passiert. Das ist meine Ansicht dazu.«
Wenig später erwachte Dina, und nach einer weiteren Stunde erreichten sie Marliana.
Dieses Mal war die Äbtissin anwesend, und sie nahm ihren neuen Schützling persönlich in Empfang. Eine weißhaarige Frau mit einer so geraden Haltung, dass es Großmutter Bianca Tränen der Hochachtung in die Augen getrieben hätte. Ihr dunkles Gesicht war von hellen Flecken übersät, was den irritierenden Eindruck auslöste, man habe ihr eine Landkarte auf die Haut gemalt. Die Lippen wirkten schmal und kleinkrämerisch. An ihrer rechten Hand trug sie einen Marquise-Ring mit einem von Diamanten umschlossenen, feurig roten Rubin. Dina durfte ihn küssen.
Die Luft war stickig, es roch wie in Großmutters Garderobenraum. Nach Mottenpulver? Wahrscheinlich nach einem Parfüm, das ausschließlich von älteren Damen getragen wurde.
»In diesem Kloster werden bereits seit über dreihundert Jahren junge Damen der Gesellschaft auf das Leben als Mutter und Ehefrau vorbereitet. Eine lange Tradition. Und wir legen bei unseren Zöglingen größten Wert darauf, dass sie diese Tradition ehren. Wir erwarten ein tadelloses Benehmen.«
»Selbstverständlich. Gerade aus diesem Grund, weil wir eine vorbildliche Erziehung wünschen, haben wir uns für Marliana entschieden. Mein Schwager« – wen ging schon ihr kompliziertes Verwandtschaftsverhältnis etwas an – »erwartet, dass die hoffnungsvollen Anlagen seiner Tochter in jedweder Weise gefördert werden. Sowohl was ihren gesellschaftlichen Schliff angeht als auch die Herzensbildung und natürlich die Frömmigkeit. Sie werden verstehen, dass wir in dieser Hinsicht die größten Ansprüche stellen müssen.« Und jetzt versuch noch einmal, mich von oben herab zu behandeln, dachte Cecilia.
Dina saß eingeschüchtert auf dem Polsterstuhl an ihrer Seite. Sie schrumpfte unter dem strengen Blick der Äbtissin. Ihre dünnen Knie stachen durch den Stoff des Reisekleides.
»Es wird nicht gern gesehen, wenn unsere Zöglinge allzu oft heimfahren oder gar besucht werden.«
»Das werden wir ganz sicher in den Grenzen halten, die Dinas Wohl zuträglich sind.«
Cecilia stand auf, was nicht gerade für ihre eigene Erziehung sprach, aber sie hatte das Gefühl, im Parfüm der Äbtissin Atemzug um Atemzug zu ersticken.
»Sie kann mich nicht leiden«, wisperte Dina, als sie wenig später einer jungen Nonne durch die Gänge folgten.
Cecilia nahm ihre Hand. »Siehst du? Hinter dieser Tür liegt der Ballsaal. Du wirst weiter tanzen dürfen, und sicher werden sie dir auch Violinenunterricht erteilen lassen.« Sie drückte die kalten Finger und ärgerte sich, dass sie danach nicht gefragt hatte.
»Holst du mich, wenn ich hier unglücklich bin?«
»Dina, mein Engel …« Aufseufzend blieb sie stehen und ging vor dem Mädchen in die Knie, so dass sie ihr in die Augen blicken konnte. »Ein Pferd, das gleich vor dem ersten Hindernis scheut, wird es nicht weit bringen. Manchmal muss man mutig sein. Man muss ein bisschen Fremdheit ertragen, ein bisschen Einsamkeit, ein bisschen … Strenge. Du wirst dich eingewöhnen. Glaub mir.«
Die Nonne war stehen geblieben und wartete auf sie.
»Du weißt, wir sind gar nicht weit fort, aber erst einmal musst du aushalten.«
Dina nickte.
»Dass dein Vater sich nicht über dich schämen muss.«
»Muss er nicht.«
»Du wirst es hier gut haben, ganz gewiss!«
Und dann der Heimweg. Cecilia saß niedergeschlagen auf der nun geräumigen Rückbank der Kutsche. Sie mochte die Äbtissin nicht, und dieses Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit, so viel stand fest. Würde die Frau Dina trotzdem gut behandeln? Sei brav, Mädchen, sei brav, seufzte sie still.
Sie waren schon fast in Montecatini Alto, als sich ihre Blase meldete. Verdrießlicher Höhepunkt eines verdrießlichen Tages. Durchhalten oder nicht? Die Frage erledigte sich nach wenigen hundert Metern.
»Bruno, ich möchte mir einen Moment die Füße vertreten. Wenn Sie so gut sind und
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