Glaesener Helga
anhalten …«
Brummelnd brachte der Sbirro die Kutsche zum Stehen. Eine wilde Hecke, die zwei Äcker trennte, bot den nötigen Sichtschutz. Jajaja, dachte Cecilia, während sie tat, was nötig war. Durch die Zweige sah sie, dass Bruno vom Kutschbock gestiegen war und sich ebenfalls »die Beine vertrat«. Allerdings ohne einen Busch aufzusuchen, auch wenn er so taktvoll war, ihr den Rücken zu kehren.
Cecilia richtete ihre Kleider. Ein zerzauster gelber Vogel hüpfte mit einem Zweig im Schnabel über den Boden. Am Himmel zogen graue Pustewölkchen vor einem lichten Firmament. Sie fühlte sich unbehaglich. Zögernd, weil sie nicht wusste, wie weit Bruno mit seinen Angelegenheiten gekommen war, blieb sie stehen. Er musste dennoch ihre Gegenwart spüren, denn er drehte sich um. Und da sah sie, dass sie seine Bewegungen missverstanden hatte. Er trug einen metallenen Gegenstand in der Hand.
»Also Signorina …«
Eine Pistole.
»Das ist eine Steinschlosspistole.« Er blickte auf die Waffe, als wäre er selbst überrascht, sie in der Hand zu tragen. »Wird Sie natürlich nicht interessieren … Ich meine, es ist ja gleich …«
»Steck sie weg, Bruno«, sagte Cecilia. Sie hörte den unsicheren Kicks in ihrer Stimme.
»Sicher, sicher. Gleich.« Der Sbirro grinste unbeholfen. Sein feistes Stoppelgesicht schien plötzlich nur noch aus schwarzen Zähnen und funkelnden Schweinsäuglein zu bestehen. Ein Ganovengesicht. Cecilia fiel ein, dass sie nie gefragt hatte, wie seine dunkle Vergangenheit ausgesehen hatte. Sie wusste nur, dass Rossi ihn einmal zu Unrecht verurteilt hatte und dass er ihn deshalb mit nach Montecatini genommen und ihm die Arbeit als Sbirro verschafft hatte. Wiedergutmachung an einem … einem was? »Weg damit, Bruno, und lassen Sie uns weiterfahren.«
Der Sbirro streckte den Arm und ließ den Hahn oder wie immer das gekrümmte Teil oberhalb der Pistole hieß, fachmännisch schnappen. Klack … Er lächelte selbstzufrieden. Sie sah, wie er ein Auge schloss und hierhin und dorthin zielte.
Und plötzlich spürte sie wieder ihr Herz. Es war, als ließe ein Trommler in ihrer Brust die Schlegel sausen. Popopo …
Bruno zielte über ihre Schulter hinweg in den Himmel. Kindische Freude an seiner Waffe. Das brauchte sie nicht zu beunruhigen. Der Sbirro gehörte inzwischen zu den Guten. Er war auf der Seite derer, die Schutz gewährten und die das Recht verteidigten. Er hatte ihr dabei geholfen, Rossi aus dem Stinche zu befreien, dem Gefängnis in Florenz, damals, als Tacito Lupori ihn dort umbringen lassen wollte. So viel stand fest.
Angestrengt holte sie Luft. Sie lächelte sogar dabei. Und fühlte sich dem Geschehen seltsam entrückt.
»Nun, Signorina …«
Und ich habe ja auch nichts gesehen !
»Sie tragen sowieso keine Pistole bei sich. Im Grunde lohnt es also gar nicht, wenn ich Ihnen zeige, wie man sie abfeuert.«
»Bitte?«
»Wenn man keine Waffe dabeihat, braucht man auch nicht schießen können«, wiederholte der Sbirro geduldig. »Nützt einem dann ja gar nichts.« Er steckte die Pistole in den Gürtel zurück.
Cecilias Lachen klang in ihren eigenen Worten wie ein Seufzen. »Nein, Bruno, da haben Sie recht.«
Eine Stunde später lieferte er sie vor Rossis Haus ab.
Francesca war bei Rossi. Da das offenbar niemand wissen sollte, hatte er die Dienerschaft fortgeschickt, einschließlich der alten Sofia, über die man normalerweise hinwegsah wie über ein Möbelstück.
Die beiden wühlten sich nicht durch die Bettdecken
– was man in dieser Situation ja wohl als Glück bezeichnen kann, dachte Cecilia –, sondern saßen im Arbeitszimmer. Rossi hinter seinem Schreibtisch, Francesca äußerst steif auf der Kante der Chaiselongue. Sie hatten Cecilias Rufen und ihre Schritte gehört und blickten beide zur Tür.
»Francesca macht sich Sorgen wegen Leo«, erklärte Rossi förmlich. Sein Hausmantel war schief geknöpft, was lächerlich aussah.
»Natürlich, ja.«
»Ich habe ihn besucht«, sagte Francesca. »Zweimal. Ihn und seine Mutter. Er redet kein Wort.«
Cecilia nickte und wünschte sich fort. In diesem Zimmer war es so schwül vor Gefühlen, dass man kaum atmen konnte. Zum Teufel mit den beiden! Sie hätte sich in ihrer Wohnung absetzen lassen sollen. Aber sie hatte ja nicht gewusst, dass Irene heimgeschickt worden war.
»Ich habe gesehen, wie Leo mich beobachtet«, sagte Francesca. »Er ist bei vollem Verstand. Er grämt sich wegen seiner Mutter, er scheißt sich fast in die Hose vor Angst. Aber er
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