Glaesener Helga
gesehen wurde. Sie weiß es sowieso, dachte Cecilia. Wir haben einander in die Augen geschaut. Und Rossi war einfach davongefahren. Himmel, was hatte er vor? Sie sah ihn vor sich, wie er sich wutentbrannt auf den Mann stürzte, der seine Geliebte in Schande brachte. »Signora?«
»Verzeihung. Ja?«
»Ich fragte, wann die Ware geliefert werden soll.« Ware … »Möglichst bald. Morgen.«
Morgen war, wie das Lächeln der Schwiegermutter andeutete, lächerlich. Möglichst bald hieße: In zwei Wochen, denn zuvor mussten ja die Bögen bedruckt werden, und Signore Redi befand sich, wie schon erwähnt, auf Reisen … »Aber unsere Handwerker sind äußerst schnell und sauber, Signorina Barghini.«
»Davon bin ich überzeugt.« Cecilia nahm ihren Pompadour auf. Sie würde zur Trülle gehen. Sie würde dafür sorgen, … ja was? Dass Francesca ihren Mantel bekam! Und dass der verdammte Büttel endlich seine Pflicht tat und die Delinquentin vor Belästigungen schützte.
» Felice giorno , Signorina Barghini, es war mir eine außerordentliche Freude …«
Der Lärm vor dem Geschäft traf Cecilia wie ein Schlag ins Gesicht. Das Gedränge um die Trülle war noch größer geworden, ein Hexenkessel. Aber es ging nicht mehr um Francesca. Die Menschen hatten neben dem Fischstand einen Halbkreis gebildet und starrten aufs Höchste gespannt in ihre Mitte. Cecilia konnte zwar nichts sehen, doch dann hörte sie die verhasste, schmeichelnde Stimme Luporis. Er schien auf eine Uhr zu schauen, denn er sagte: »Noch einen kurzen Augenblick, verehrter Herr Kollege. Bis Punkt zwölf. Alles hat seine Ordnung.« Keckernd lachte der Mann auf. »Aber was muss ich Ihnen das erzählen?« Einen Moment war es Cecilia, als röche sie den widerlichen, süßen Parfümpuder, mit dem der Giusdicente immer die Perücke bestäubte.
Eine Frau zog ihre beiden Kinder aus dem Kreis, und Cecilia erhaschte einen kurzen Blick auf Rossi, der, immer noch bleich wie der Tod, auf die Trülle stierte. Dann begann die Kirchturmuhr zu schlagen, und der Büttel setzte sich in Bewegung. Unter dem Schweigen der Menge, die zu spüren schien, dass ihr Johlen nicht mehr angebracht war, wurde Francesca aus dem Strafgerät entlassen. Die Leute wichen zurück, und Cecilia sah, wie die Frau elend und schwach vorwärts wankte. Rossi lief ihr entgegen, um sie zu stützen, und sie warf sich blind in seine Arme.
Jetzt war auch Lupori zu erkennen, der neben seiner Kutsche mit dem protzigen Wappen stand. Seine Lippen kräuselten sich vor Befriedigung. Sicher hatte er kein Mitleid mit einer Frau, die bespuckt wurde. Aber dieser Anblick – Rossi verstört, Francesca hemmungslos weinend – musste ihm ein Fest sein. Er drehte sich um, steif von der Krankheit, die ihn plagte, und ließ sich von seinem Kutscher aufs Gefährt helfen. Im Knopfloch seiner Weste stak das obligatorische Blumensträußchen – Kunstblumen aus zartrosa Seide.
Mistkerl, formte Cecilia stumm mit den Lippen.
Als er fort war, wandten die Leute sich wieder ihren Einkäufen zu. Rossi sagte etwas zu Francesca, und Cecilia sah, wie die Seifensiederin sich ungestüm frei machte. Sie schaute sich um, als würde ihr erst jetzt wieder klar, wo sie sich befand und an wen sie sich geklammert hatte. Ihr Gesicht verhärtete sich. Heftig schüttelte sie auf eine Frage Rossis den Kopf. Dann humpelte sie zu ihrer Krücke und verließ mit schlurfenden Schritten, aber hoch erhobenen Hauptes, den Markt.
Der Mantel, dachte Cecilia, doch da war Francesca schon verschwunden. Sie ging hinüber zur Tülle und hob das graue Kleidungsstück auf und dann auch noch die Wollhandschuhe, die darunter lagen. Sie war zutiefst niedergeschlagen.
Rossi begann erst wieder zu sprechen, als er den Lando aus dem Borgo auf die Landstraße gelenkt hatte. »Sie ist zu Lupori gegangen und hat ihm Vorwürfe gemacht, weil er wegen Marios Tod nicht ermittelt. Er ist kein Mann, der sich beschimpfen lässt – das hätte sie wissen müssen.«
So war also das Resümee? Cecilia hieb mit der Faust neben sich auf den Sitz. Aber natürlich war es nicht gerecht, Rossi etwas vorzuwerfen. Wie er ganz richtig gesagt hatte: In Buggiano waren ihm die Hände gebunden. Einen Moment versuchte sie sich vorzustellen, wie es sein mochte, bespuckt zu werden. Nahm man als Frau aus dem Volk so eine Schande gleichmütiger hin? Nein, Francesca war alles andere als gleichmütig gewesen. Verdammt seist du, Lupori!, dachte Cecilia mit Leidenschaft.
Sie sah, dass Rossi mit beiden Händen
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