Glaesener Helga
sie in der Trülle steckte.«
Cecilia legte ihren Arm um den Mantel in dem plötzlichen Gefühl, als müsste sie ihn vor dem Mönch beschützen. »Ich sehe, Sie sind ein viel beschäftigter Mann, Abate …«
»Dürfen mich nicht für herzlos halten. Aber es war eine mörderische Arbeit, die Maschine auseinanderzunehmen und von dem Sand zu reinigen, das kann ich Ihnen versichern! Gehen Sie einfach zu Fra Michele …« Brandi nickte ihr zu, und dann war er auch schon fort, zuerst mit den Blicken, gleich darauf mit den Füßen. Ein Lastkarren, von zwei Ochsen gezogen, brachte Steine.
Als Cecilia kurz vor der Dämmerung heimkam, stürmte ihr Anita durch den Vorgarten entgegen. Die junge Köchin hatte einen feuerroten Kopf und verweinte Augen. »Es hat wieder gekracht, Signorina.«
»Was denn?«
»Die Kleine und der gnädige Herr. Er hat sie verhauen, und sie liegt in ihrem Bett und weint. Der Giudice hat gesagt, sie bekommt kein Abendbrot. Und Irene …« Der Name war eingebettet in einen Schwall unausgesprochener Schimpfwörter. »… sagt, ich darf nicht zu ihr ins Zimmer. Ich verderbe sie! Ist das zu glauben? Mit einem Dörrobstkrapfen verdirbt man ein Kind? Hat man das je gehört?«
Cecilia merkte, wie sich hinter ihrer Stirn ein Kopfschmerz zusammenbraute. Dieser Tag war von der ersten Stunde an scheußlich gewesen. Und nun auch noch Sturm im eigenen Haus.
Sie ging in das Kinderzimmer hinab, wo Dina auf ihrem Bett lag, die Beine angezogen, im Arm ihre Puppe, an deren Hand sie nuckelte.
»Ich war’s nicht, und es ist gemein, dass er mir nicht zuhört.« Sie konnte sprechen, ohne die Puppenhand aus dem Mund zu nehmen.
»Du warst was nicht?« Cecilia setzte sich auf die Bettkante und entzog ihr die Puppe, während sie gleichzeitig eine Decke über sie ausbreitete. Dieses magere Äffchengesicht, dachte sie. Diese wilden Augen, bei denen man nie weiß, ob sie Grazias Leidenschaft oder Rossis Ungeduld spiegeln. Wo waren eigentlich die Schleifen geblieben, die Irene dem Mädchen am Morgen mit so viel Ziepen in die Haare gesteckt hatte?
»Piero Pinelli hat auf Giulios Schuh gepinkelt, und da hat Giulio mit dem Stein nach ihm geworfen. Giulio hat geworfen! Sein Stein hat das Glasding getroffen, aber ich bin nicht dran schuld. Ich hab nur dabeigestanden – und nicht mal gelacht.«
»Dina, mein Kind …«
»Ich hab Piero auch nicht geärgert. Das waren die Jungs.«
»Mitgegangen, mitgehangen«, erklärte Cecilia weise.
»Mein Vater hat mir nicht verboten, mit Piero und Giulio zu spielen, also kann er mich deshalb …«
»Er hat dir verboten, allein draußen herumzustreunen.«
»Hat er nicht. Sie haben das verboten, Cecilia. Ihm ist egal, was ich mache.«
»Das stimmt doch nicht, Schätzchen«, widersprach Cecilia. Sie seufzte und erhob sich. Einen Moment war sie unschlüssig, ob sie das Abendbrotverbot aufheben sollte, aber sie entschied sich dagegen. Keinem war gedient, wenn sie Dina in dem Glauben bestärkte, in Cousine Cecilia eine Verbündete gegen den Vater zu haben. Stattdessen machte sie sich auf den Weg ins Arbeitszimmer.
Der Raum war leer. Auf dem Boden lagen immer noch die zerknüllten Papierbällchen, und auf der Schreibtischplatte stand eine leere Fiascoflasche. Die Tür zu dem schmiedeeisernen Balkon war geöffnet, eisige Luft wehte herein. Nachdem Cecilia sie geschlossen hatte, kehrte sie in die unteren Räume zurück. Es war inzwischen dunkel, und Irene war damit beschäftigt, die Öllampen zu entzünden.
»Der Giudice?«, fragte sie. »O ja, er ist fort. Er hat das Kind ausgescholten …« Das Kind , dachte Cecilia und schnitt in Gedanken eine Grimasse, weil das Wort aus Irenes Mund klang, als wäre von einem Möbelstück die Rede. »… und dann ist er fortgegangen. Er geruhte allerdings nicht, mir anzuvertrauen, wohin er …«
»Schon gut, schon gut.«
Als Rossi heimkehrte, war er schlechter Laune. »Was?«, fragte er, als er sich aus dem Mantel geschält hatte und Cecilia sein Gesicht zuwandte.
Sie ging ihm voran ins Speisezimmer und schloss die Tür. »Du hättest sie zumindest anhören können.«
»Ich habe sie angehört.« Er nahm die Kerze vom Aufsatzschrank und entzündete damit die Öllampe auf dem Tisch.
»Die ganze Geschichte – einschließlich Piero Pinelli und Giulios Schuh?«
»Bitte?«
»Du hast bedacht, dass Giulio geworfen, Dina aber nur dabeigestanden hat?«
»Dina!« Er stellte die Lampe ab, nahm einen Bogen bunt bedruckten Papiers vom Tisch und warf ihn nach einem kurzen Blick auf
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