Glaesener Helga
Brandi ist ein Hitzkopf, aber kein Unmensch. Jetzt, wo die Hoffnung besteht, dass sich niemand mehr an seinen Maschinen vergreift, ist er regelrecht umgänglich geworden. Er lässt die Anklage gegen die beiden fallen.«
Cecilia betrachtete den hageren Mann, der sich an der Uhr zu schaffen machte, um sie aufzuziehen. Er hatte schon wieder einen Knopf an seinem Justaucorps abgerissen. Sie würde ihn annähen müssen, bevor sie heimging. An seinen unbeholfenen Bewegungen sah sie, wie müde er hinter der aufgekratzten Fassade war. Die letzten Tage mussten an seinen Nerven gezerrt haben. Er mochte Alfredo, er mochte Alfredos Freunde. Sicher war es für ihn nicht einfach gewesen zuzuschauen, wie der Hunger unter den Fischersfamilien um sich griff, und dabei auf der Seite der Herrschenden zu stehen. Francesca hatte ihm zweifellos zugesetzt.
»Hast du noch etwas über den Mann herausbekommen, der dieses Haus gemietet hat – Michelangelo?«, fragte sie.
»Er ist abgereist.«
»Tatsächlich!«
»Ja. Bruno war ein Esel. Er ist in das Haus eingedrungen und hat sich dort umgesehen. Und nicht nur das – er hat die Sachen durchwühlt. Ich denke, Michelangelo hat gemerkt, dass man ihn auf dem Kieker hat, und ist geflohen.«
»Hältst du ihn für den Mörder?«
»Wir haben keine Spuren von Hunden gefunden.«
»Dann war er vielleicht doch harmlos.«
»Vielleicht.«
»Und was sagen seine Vermieter, diese Brüder?«, fragte Cecilia, während ihr Interesse sich bereits verlor.
»Dass er groß wie ein Däne war. Dass er eher klein war, dafür aber mit dickem Wanst. Dass er blond war, dass er schwarze Locken hatte wie ein Pudel, dass er einen Akzent aus dem Süden sprach, vielleicht aber auch nicht. Dass er für Wochen im Voraus bezahlte. Bei dem Letzten waren sie sich einig.«
Cecilia lächelte.
»Die beiden sind alt und fast blind. Und zumindest Carlo an sieben Tagen in der Woche betrunken.« Rossi schlug die Holztür des Uhrengehäuses zu. »Die zweite Sache, in der sie sich einig waren, bestand darin, dass er ein kostbares Pferd besaß. Die beiden sind Pferdenarren. Man kann dieses Faktum also als gegeben hinnehmen.«
»Was für ein Pferd?«
»Bitte?«
»Ich meine, welche Rasse?«
»Ist das wichtig?«
Nicht wirklich. Sie wollte nur hören, dass er sagte, es sei ein Schimmel gewesen, irgendetwas, aber kein Fuchs.
»Ich werde es herausfinden.«
Er verschwand. Etwa zwei Stunde später – Cecilia saß über ihren Abrechnungen, die sie jeden Monat akkurat verfasste und die er ebenso akkurat anschließend in seinem Papierkorb versenkte – kehrte er wieder nach Hause zurück.
»Es war ein Fuchs, ein Hengst«, sagte er und schaute sie gespannt an. Er schien keine gesprochene Antwort zu benötigen, er las sie aus ihren Gesichtszügen ab. »Also? Heraus mit der Sprache. Was hat es auf sich mit diesem Pferd?«
Widerstrebend begann sie zu erzählen. Es war ja nicht viel. Ihr Bericht hörte sich auch dieses Mal überspannt an. Ein Mann auf der Straße nach Marliana, dessen Fuchs sie später in der Stadt gesehen hatte.
Rossi nickte unzufrieden. Er hatte offenbar Handfesteres erwartet. »Du hast, wie es scheint, den Mann gesehen, der das Haus gemietet hat. Oder vielmehr – du hast einen Filzhut und einen Mantel gesehen. Na schön.« Er kramte einen Brief aus der Tasche, den er vor Cecilia auf den Tisch knallte. »Und nun sag mir, was von diesem Geschreibsel zu halten ist.«
Sie entfaltete das Blatt. Und musste mit steigendem Ärger lesen, was die Äbtissin des Klosters Marliana dem Giudice Rossi über seine Tochter zu berichten hatte: Das Mädchen besitze einen ungebärdigen Charakter. Es sei jeglicher Führung abgeneigt. Es koste die Schwestern Mühe, ihrer Aufsässigkeit Herr zu werden. Man vermisse das fromme Wesen, das einem jungen Mädchen anstünde. Man vermisse Anmut und Bescheidenheit. Weder Strafen noch gute Worte führten zur Einsicht …
Cecilia ließ das Blatt auf den Tisch flattern. »Das stimmt alles nicht.«
»Dass Dina ein Sturkopf ist?«
»Es ist so einfach, an ihr Herz zu rühren …«
Rossi verdrehte die Augen.
»Sie wollte sich Mühe geben. Sie hat’s versprochen. Sie hat es sich fest vorgenommen.« Cecilia seufzte.
»Dann soll sie sich weiter Mühe geben«, meinte er kühl.
»Aber müsste man nicht …«
»Doch, man müsste. Dieses Mal ja. Ich werde hinfahren.«
»Ich komme mit.«
»Nein«, sagte er. Ein böses Nein . Sie war erschrocken über die Heftigkeit, mit der er es aussprach. Das Nein galt den Schwierigkeiten,
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