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Glaesener Helga

Glaesener Helga

Titel: Glaesener Helga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfe im Olivenhain
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die dieses Kind über ihn brachte. Aufsässig, ein Dorn im Fleisch, eine Enttäuschung … Genau wie Grazia. Und damit waren sie wieder beim Kern des Übels. Genau wie Grazia .
    Cecilia kämpfte ihre Empörung nieder. »Du machst einen Fehler, Rossi. Du trampelst über zarte Pflanzen.«
    »Ich versuche zu verhindern, dass das Kind rausgeschmissen wird.«
»Warum glaubst du diesem gehässigen Besen, ohne auch nur nachzuhaken?«
»Hast du das Kloster nicht ausgesucht? Hast du nicht mit ihr gesprochen?«
Nun ja. »Trotzdem.«
»Hör zu, Cecilia …« Er kam näher, beugte sich über sie und flüsterte. »Dina hat’s nicht leicht, kann sein. Aber das geht ihr nicht allein so. Die Welt ist voller Kinder, die in Schwierigkeiten stecken.«
»Aber …«
»Mir fiel auch nicht alles zu. Ich habe zuschauen müssen, wie mein Bruder verhungerte …« Das war ihm herausgerutscht. Er hätte es gern zurückgenommen. Zu persönlich, sagte sein Gesichtsausdruck, geht niemanden etwas an. »Es ist nicht Dinas Schuld, ich weiß. Ich will auch nicht – bewahre –, dass sie Ähnliches erlebt. Aber es kommt mir hoch, wenn ich sehe, wie aus einem Menschen ein Porzellanpüppchen …« Er holte Luft, um nicht beleidigend zu werden. »Sie ist Grazias Tochter, und daher trägt sie diese lächerlichen, kostspieligen Kleider und darf ihre Zeit damit vertun, auf einer Violine zu kratzen. Aber sie ist auch meine Tochter, und deshalb wird sie lernen, sich durchzubeißen. Ich halte das keineswegs für grausam, ich halte es für notwendig.«
»Aber …«
»Womit muss sie schlimmstenfalls rechnen? Dass man ihr das Dessert zum Essen streicht? Dass man sie schickt, den Rosenkranz zu beten?«
Es hatte keinen Sinn, ihm zuzureden, begriff Cecilia plötzlich. Was auch immer in den Winkeln seines Gedächtnisses nistete – es war zu schrecklich, um daran zu kratzen. Sie sah die Wunden seiner Kindheit in den schwarzen Augen schwären. Da musste noch mehr gewesen sein als der verhungerte Bruder, auch wenn solch ein Erlebnis bereits entsetzlich genug war. Er tat ihr so leid, dass sich ihr Magen zusammenkrampfte. Dennoch war es nicht gerecht, Dinas Unglück mit seinem auf derselben Waage zu wägen. Für Kummer gab es keine Messlatte von allgemeiner Gültigkeit. »Du solltest …«
Er trat gegen das Tischbein. »Halte dich raus!«
»Du …«
»Halt dich einfach raus.«
»Stur, ja?«, meinte Cecilia und kehrte ihm den Rücken.
Er sagte ihr, dass Adolfo an ihrer Seite bleiben werde und dass sie es nicht wagen solle, ihn fortzuschicken. Dann knallte er die Tür.
    Er brach gleich am nächsten Morgen auf, auf einem Pferd, das Goffredo ihm geliehen hatte.
    »Der Giudice scheint ziemlich übel drauf zu sein«, meinte der Wirt und hätte gern in einem Schwätzchen Näheres erfahren. Cecilia war in Versuchung, aber sie beherrschte sich. Stattdessen ging sie in den Stall, tätschelte die brave Emilia und machte sich an die Hausarbeit.
    Adolfo tauchte auf. Er breitete vor Cecilia sein kleines Waffenarsenal in Form einer Pistole und eines furchteinflößenden indischen Dolches aus und vertraute ihr an, dass seine Schießkunst ihn und seine Schwester und die Familie seiner Schwester über manchen Winter gebracht hatte. Einmal hatten Giudice Cardinis Sbirri ihn beim Wildern erwischt, aber Cardini war ein guter Kerl. Zehn Julii – und keine Züchtigung, was ihn mit seinen alten Knochen sicher hart angekommen wäre. Und vor allem kein Landesverweis. »Wir haben gute Richter«, sagte er, und Cecilia hatte nicht das Herz, ihn fortzuscheuchen, da sie sicher war, dass Rossi ihn für seine Anwesenheit bezahlte. Sie schickte ihn zu Anita in die Küche und suchte aus Rossis Kommode Hemden und Wäsche heraus, die genäht werden mussten.
    Viel schaffte sie nicht, denn ihre Gedanken waren bei Dina, und sie lief fortwährend zum Fenster, obwohl es noch viel zu früh war, als dass Rossi hätte zurück sein können. Lass ihn nicht allzu grob werden, betete sie still. Lass Dina höflich sein. Gib ihr die Worte, ihren Kummer zu erklären. Er ist doch nicht aus Stein …
    Und dann wurde die Stadt von einer Nachricht erschüttert, die Dinas Sorgen in die Bedeutungslosigkeit sinken ließen.
Man hatte erneut einen Toten gefunden.
    Der Erste, der die Kunde brachte, war der Mann von der Poststelle. Cecilia sah die Menschen zusammenlaufen, und als sie in den Garten trat, hörte sie ihn der aufgeregten Menge erzählen, dass man in einer halb verrotteten Köhlerhütte drüben in dem Eichwald hinter

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