Glaesener Helga
…«
»Ich weiß.«
»Wir hätten etwas mitbringen müssen. Wir haben doch genug. Wenigstens … wenigstens für die Kinder.« Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden.
»Geht nicht.«
»Warum?« Er machte sie wahnsinnig mit den Bröckchen, die er ihr als Antwort hinwarf.
»Weil sie die Linie noch nicht überschritten haben.« »Welche Linie?«
»Die zwischen Würde und Verhungern. Wenn du am Verhungern bist, gibt es keine Würde mehr. Aber vorher …« Er zuckte die Schultern. »Es geht ihnen ja noch einigermaßen, nicht wahr? Die Kinder spielen. Es ist ein schmaler Grat.«
»Warum hast du mich überhaupt mitgenommen?«
Er antwortete nicht.
Adolfo und Leo kamen in aller Früh und begannen, die schweren Möbel in die Diele und die leichten Möbel und die Bücher in das obere Stockwerk zu schaffen.
»Wird es auch nicht zu viel für Sie?«, fragte Cecilia den Alten, als sie ihn mit Leo den Aufsatzschrank in die Diele hieven sah. Er hatte Gichtknoten an den Gelenken und Ohrmuscheln.
Lachend schüttelte er den Kopf. »Der Giudice zahlt gut, Signorina. Das ist wie ein Bad im Jungbrunnen.«
Leo sagte gar nichts. Er wirkte still und verbittert. Oder traurig. Oder vielleicht nur hungrig? Cecilia ging in die Küche und wies Anita an, den Männern Brot und Käse zu bringen. Sie achtete darauf, dass der Teller bis zum Rand gefüllt war. »Und Wein, Anita! Und backe Kuchen für die Kinder, die bei ihnen wohnen.«
Mitten in das vormittägliche Durcheinander platzte Giudice Cardini aus Monsummano. Er wollte zur Hochzeit seiner Schwägerin, hatte es daher eilig und blieb in der Diele stehen, um seine Nachrichten weiterzugeben. »Du hattest recht, Enzo. Dieser Fischer, nach dem du gefragt hast, Ivaldo Bronzi, ist tatsächlich zu den Soldaten, aber nicht zu den Maltesern, sondern ins Dragonerregiment nach Pisa.«
Adolfo horchte genauso auf wie Rossi. Er setzte den Weinkühler ab, und Cardini erzählte den beiden Männern, dass sein Cousin, der im Staatssekretariat für Krieg und Marine arbeitete, den Namen des Burschen in einer Liste gefunden habe.
»Ivaldo macht’s richtig. Wenn der alte Weg zugeschüttet ist, muss man einen neuen suchen«, meinte Rossi.
»Kann ich dir sonst noch behilflich sein?«
Rossi schüttelte den Kopf und bedankte sich. Aber Cardini zögerte zu gehen. »Dieser Feretti – sieh dich vor. Er ist tatsächlich zu Lupori gegangen, um sich über die Seifensiederin zu beschweren. Und über dich, natürlich.«
»Was hat der Giusdicente gesagt?«
»Na ja …« Cardini schien selbst verdutzt. »Er hat ihn offenbar abgewimmelt. Der Mord an Mario Brizzi sei aufgeklärt und gesühnt. Plänkeleien am Rande interessieren ihn nicht. Gib trotzdem acht, Enzo. Im Ernst. Sowohl was Feretti als auch, was Lupori angeht.«
Als er fort war, klopfte Rossi Adolfo auf die Schulter. Sie sahen beide erleichtert aus. Offenbar hatten sie sich um Ivaldo große Sorgen gemacht.
Und dann kamen die Komödianten für ihre erste Probe. Sie eroberten das Teatro mit der überwältigenden Dreistigkeit ihrer Zunft. Cecilia hörte Flüche und zotige Bemerkungen, und sie überlegte, ob es nötig wäre, die Tür zu verschließen, die den Palazzo und das Teatro miteinander verband.
»Warum denn?«, fragte Rossi.
»Komödianten sind Diebe«, sagte sie, und genau aus dem Grund, weil er ihr den Allgemeinplatz verübelte, beharrte er darauf, die Tür offen stehen zu lassen.
Sollte er. Es war sein Haus. Mochten sie es ihm ausräumen. Cecilia ging zu Dina, und sie durchforsteten den Kleiderschrank.
»Kommen Sie mich auch wirklich besuchen?«
»Aber sicher, mein Engel.« Cecilia legte den Reifrock, den Dina gerade anprobiert hatten, beiseite, ging in die Hocke und zog das Mädchen an sich. Über seine Schulter hinweg schaute sie durch das Fenster auf die Weinhänge, auf denen nach einem Wetterumschwung der Matsch in fetten Fladen hing.
»Ich hab Sie fast so lieb wie Mamma.«
»Ich hab dich auch lieb.«
Dina vergaß, dass sie eine junge Dame war, und rieb ihre Nase an Cecilias Schulter. »Ich hab Angst, dass sie mich im Kloster nicht leiden können. Niemand kann mich leiden.«
»Du sollst das nicht immer sagen. Du weiß doch …«
»Sofia sagt, ich bin eine Crotte .«
»Bist du nicht.«
»Was ist das eigentlich, eine Crotte? «
»Das weiß ich nicht. Aber Sofia sagt immer nur Unfreundlichkeiten, einfach, weil sie gern unfreundlich ist, und deshalb kann es nicht stimmen.«
»Die Tochter von Signora Bellini konnte mich aber auch nicht leiden. Ich hab ihr
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