Glaesener Helga
zwischen den Marktbesuchern und dem Denkmal ein Wagen als Sichtschutz befand, überwand Cecilia sich zu einer Unterhaltung.
»Von den Kräften verlassen, Signore Arlecchino? Oder von der Freud an der Sache? Pistoia hätte ein besseres Pflaster geboten, wenn Sie auf Beifallsstürme hoffen.«
»Ich hoffe, wenn Sie verzeihen, Signorina, auf fünf Julii pro Aufführung, zwei Mahlzeiten am Tag und ein Dach über dem Kopf.« Er lachte und änderte den Tonfall. »Die Wahrheit ist, Sie haben mich erwischt, werte Dame. Das Lachen der Zuschauer ist mein Lebenselixier. Ich bin ein Professionist der Verstellung, meinen Nächsten naszuführen ist mir ein größeres Vergnügen als hundert Julii pro Aufführung, und ich tauschte es nicht gegen den Palast der Königin von Neapel. Wenn Sie meinen Dank entgegennehmen würden – es war äußerst großzügig von Ihnen, uns nicht zum Teufel zu jagen.«
Sie sah die Neugierde in seinen Augen und schämte sich, ihn angesprochen zu haben. Und doch blieb sie stehen, als er fortfuhr zu sprechen.
»Es musste dieses sterbenslangweilige Nest sein, Signorina, denn Principale Inghirami, der ein Held der visuellen Verzauberung ist und dem zu dienen mir ein göttliches Vergnügen bereitet, wollte die Truppe ausschließlich für Montecatini mieten.«
»Und nun ist er fort?«
Arlecchino beobachtete sie listig aus seinen von Lachfalten umzogenen Augen. »Der arme Principale. Aber nein. Er wälzt sich nächtens auf dem Karrenboden, … er trinkt, … er seufzt und stöhnt. Er reizte zum Lachen, besser als jeder Arlecchino, wenn sein Kummer nicht so … tragisch anmutete.«
»So liefert er euch gleich den Stoff für euer nächstes Melodram.«
»Ein seufzender Held, eine kaltherzige Heldin … Die Tinte läuft mir aus den Fingern – wo ist das Papier? Wer hätte gedacht, dass das Leben …«
Es reichte. Cecilia drehte dem Schauspieler kühl den Rücken und kehrte zwischen die Stände zurück. Sie kaufte einen schrumpligen Weißkohl. Inghiramo machte sich also zum Narren vor den Narren. Wenn das keine Genugtuung war!
Sie hatte in den nächsten Tagen so viel zu tun, dass ihr kaum Zeit zum Grübeln blieb. Adolfo und Leo hatten die Zimmer gereinigt, und der Dekorateur von Signore Secci kam, seine Tapetenbahnen zu kleben – was Rossi mit Misstrauen, aber auch mit Interesse verfolgte, wie alles, was er nicht kannte. Irgendwann würde er zugeben, dass sie seinem Haus zu Glanz verholfen hatte.
Am Abend dieses Tages nötigte er Cecilia, ihren Mantel überzuziehen. Neugierig folgte sie ihm über den Markt in den Hinterhof von Goffredos Kaffeehaus. »Was tun wir hier?«
Er öffnete den Flügel eines großen Tores. »Bitte eintreten, die Dame.« Stallgeruch schlug ihr entgegen.
»Rossi …«
»Hier steht sie, Signorina. Die Kutsche, die du in Zukunft benutzen wirst, wenn du jemanden besuchen willst.« Er hob die Laterne und zog sie in den nach Tierleibern und staubigem Heu riechenden Raum. Etwas Riesenhaftes bewegte sich, und Cecilia entdeckte einen Schimmel, der bedächtig an einem Bündel Heu zupfte. »Komm weiter. Hier.« Der Schein der Lampe wanderte zu einem Gefährt, einer Vittoriakutsche auf hohen gefederten Rädern, weiß bemalt, mit einem altmodischen roten Stepppolster. »Nun?«
»Für mich?«
Rossi grinste wie ein Schuljunge.
»Für mich? Wirklich für mich?«
Er lachte über das Glück in ihrer Stimme und gab ihr die Lampe, um die Hände frei zu bekommen. Aufgeregt sah sie ihm zu, wie er den Schimmel einspannte und Pferd und Kutsche aus dem Stall und auf den Marktplatz führte. »Goffredo wird sich um das Tier kümmern. Damit hast du nichts zu tun. Wenn du den Wagen brauchst, sagst du ihm einfach Bescheid, und er spannt an. Und nun: Hopp …«
Die Vittoria war ein Zweisitzer mit einem klappbaren Lederverdeck und einem Sitz für einen Lakaien über den Hinterrädern. Cecilia erklomm das rote Polster. Der Samt war abgeschabt und alles roch ein bisschen muffig, aber sie war zu glücklich, um sich daran zu stören.
Rossi zwängte sich neben sie. »Heho!« Der Schimmel bewegte das Hinterteil, die Kutsche ruckelte an. Ausnahmsweise regnete es einmal nicht. Es war Vollmond, und die Nacht hell. Sie sah Rossi zu, wie er den Wagen in die nächste Gasse lenkte.
»Bist du schon einmal selbst gefahren?«
»Großmutter Biancas Enkeltochter?«
»Hm. Dann musst du es lernen.« Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, übergab er ihr die Zügel, und bald war sie damit beschäftigt, ein Tier, das hundertmal so viel
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