GLÄSERN (German Edition)
einen Schwarm Libellen gefunden, und er konnte sich einfach nicht beherrschen. Die kleinen Wesen flatterten wie Feen um uns herum. Es war einfach fantastisch, wie in einem Märchen!«, erzählte sie verträumt und ich sah es schwärmerisch in ihren geheimnisvollen meerfarbenen Augen aufglimmen.
»Also nicht, als ihr mich aus der Kutsche geworfen habt in Wales«, stellte ich nüchtern fest, in der Hoffnung, meiner noch immer gekränkten Seele so etwas Luft zu machen.
»Nein, nein, das war bereits im deutschen Wald«, meinte Kieran leichthin und zog an einer Pfeife, die ich in Graf Hektors Zimmer zuletzt hatte liegen sehen.
»Aber wie du ja weißt, Selbstbeherrschung gehört nun einmal nicht zu meinen – übrigens sehr zahlreichen – Tugenden«, meinte er gewohnt selbstherrlich.
»Ebenso wie eine gewisse realistische Selbsteinschätzung. Ganz zu schweigen von Takt«, erwiderte ich beleidigt.
»Oh, ich habe Takt, mein zerzauster Freund«, raunte er.
Ich betastete schnell meine Frisur, die sich jedoch in gewohnt tadellosem Zustand befand, und ärgerte mich wie so oft über mich selbst, als er über seine tumbe List leise lachte.
»Ich befinde nur gern selbst, wann und wem gegenüber er angebracht ist.«
Beschämt sah ich zu Boden, als eine seltsame Traurigkeit mich in Besitz nahm, jetzt, da wir hier zurück in unserem heimeligen Nest in der nächtlichen Kühle zusammensaßen, all die Strapazen der seltsamen Reise hinter uns lagen, und die schrecklichen Geschehnisse sich erneut ungehindert in mein Hirn einnisten konnten, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Ich fühlte nach meiner Brust, die seit meinem Sturz nicht völlig aufgehört hatte zu schmerzen. Meist nahm ich den leisen Schmerz kaum wahr, doch manchmal presste er mein Herz wie mit einer eisernen Zange zusammen.
Kieran nickte mir zu. »Was hast du, Van Sade?«, er klang besorgt und auch Eirwyn legte ihre Hand auf die meine. »Du atmest kaum. Und du bist leichenblass. Warte, ich hole dir einen Whiskey.« Ich wollte ihn zurückhalten, doch er kam bereits mit der offenen Flasche zu mir gerannt, die er zuvor Eirwyn abgenommen hatte. Ich trank widerstrebend einen großen Schluck und fühlte mich augenblicklich etwas wohler.
»Es ist nur … ich bin etwas … ich …«, krächzte ich.
»Nur heraus mit der Sprache, mein eitler Freund!«, versuchte er mich aufzumuntern und ich riss mich zusammen.
»Weißt du, ich vermisse Giniver. Und ich schäme mich wegen meiner … peinlichen … Unkontrolliertheit in Sandfords Haus!«
»Du hast ihm gegeben, was er verdiente«, sagte Kieran und zog erneut an der Pfeife.
»Ich habe ihn regelrecht hingerichtet!«, widersprach ich störrisch.
»Du hast lediglich die Rache genommen, die dir zustand. Immerhin war er schuld am Tod unserer kleinen, allzu süßen Giniver.«
Wie wahr …
»Und ich habe mich auch noch zweimal übergeben«, sagte ich kleinlaut.
»Das ist wohl das geringste Übel.«
»Was denkst du? Wird man mich dafür zur Rechenschaft ziehen?« Plötzlich ergriff mich eine unbändige Angst vor den etwaigen Folgen, vor dem Tod am Galgen oder Schlimmerem! Zerschmetterte Glieder, zu Staub zermahlene Knochen, der baumelnde Kopf nur mehr ein Anhängsel … ich würgte!
Kieran baute sich vor mir auf, grenzte mich mit seinen Armen auf der Balustrade ein, indem er sie links und rechts neben mir auf den Stein stemmte. Seine Augen bannten mich wie leuchtende Quellen und alles um mich herum verschwand in der Nacht. »Hör mir gut zu, Van Sade. Lord Sandford war ein kranker, psychopathischer Bastard. Er lebte abgeschieden in einem beinahe unsichtbaren Steinschloss mit einem Haufen toter Jungfrauen. Niemand hat uns dort gesehen. Also reiß dich gefälligst ein wenig zusammen. Du musst dich nicht für irgendetwas schämen. Ich fand dich sehr mutig.«
Das war´s. Er drehte mir seinen breiten Rücken zu.
»Du bist endlich einmal in deinem armseligen Leben ausgerastet, aus verständlichem Grund«, grummelte er, während er sich ein weiteres Mal Graf Hektors Pfeife anzündete.
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, wie sich das anfühlt, weiß ich. Es war anders …«
»Woher willst du wissen, wie sich das anfühlt, hm? Aus deinen Büchern wahrscheinlich. Finde endlich zurück in die Realität, Van Sade, und stell dich deinem Leben.« Er seufzte, schüttelte den Kopf und wandte sich gegen den Wind, ein kleines Feuer wie ein Irrlicht in seiner hohlen Hand.
»Ich bin eben nicht wie du, stark …«
Bevor ich 'aber
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