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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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herzlos' hinzufügen konnte, nahm Eirwyn mich in den Arm. »Du hast alles richtig gemacht. Denk nicht weiter darüber nach. Wir sollten stattdessen über Ginivers Beerdigung sprechen. Es wird Zeit. Sie ist nach der tagelangen Fahrt bereits in einem … weniger guten Zustand.«
    Ich würgte verhalten und wandte mich ab. Dennoch hielt mich meine Lilie weiter fest in ihren Armen und ich war ihr so dankbar dafür wie noch nie. Ich ignorierte das unwohle Grummeln in meinem Magen und packte sie stattdessen so fest, dass ich sie beinahe erdrückt hätte.
    »Wenn du möchtest, richte ich sie für dich hübsch zurecht«, schlug sie hilfsbereit vor.
    Ich schüttelte den Kopf. In meiner geschundenen Wahrnehmung war ich allein dazu berechtigt, sie herzurichten. Kieran bot an, mit Duncan in die Stadt zu fahren und einen Sarg zu besorgen. Am liebsten hätte ich alles selbst erledigt. Ich war jedoch realistisch genug, um zu erkennen, dass mir dafür schlicht die Zeit fehlte, wollten wir sie doch in einem offenen Sarg aufbahren. Ihre Leiche hatte ich seit unserer Abfahrt von Sandfords Schloss nicht mehr gewagt, anzusehen. Mir graute ein wenig vor dem, was der natürliche Verfall trotz des Winters bereits mit dem Körper angestellt haben musste.
    Irgendwann, als die Sonne bereits als greller Ball nahe dem untergehenden Sichelmond auftauchte, gingen wir in unsere Zimmer. Ich verabschiedete mich stumm von der unerreichbaren, kaum noch sichtbaren silbrigen Welt dort oben. Die Hochzeit würde bei Neumond stattfinden und die Beerdigung noch heute. Ich hatte nur mehr wenige Stunden, ehe meine Seelenfreundin für die Ewigkeit bereit gemacht werden musste.

    Unbeholfen stand ich vor dem schmalen Bett in Ginivers Zimmer, auf dem ihre menschliche Hülle lag. Sie war kalt wie die Eiszapfen, in den dünnen Tüchern, zwischen denen wir sie seit unserer Ankunft lagerten. Sorgfältig schloss ich die Zimmertür, drehte den Schlüssel zweimal im Schloss. Unablässig musste ich meine Augen von Tränen befreien, um überhaupt mehr als einen Schemen von ihr zu erkennen. Ich atmete tief durch und entkleidete sie vorsichtig. Sorgfältig wusch ich sie, fuhr achtsam mit lilienwassergetränkten Tüchern über die an manchen Stellen eingerissene Haut. Dünn wie Papier knisterte sie leise unter meinen Berührungen. Fasziniert strich ich mit den Fingern über die harten, hervortretenden Sehnen an ihren Armen und dem Torso. Ich massierte eine leichte Creme aus Butterblumen ein und parfümierte sie mit ihrem Lieblingsduft, den ich ihr einst von einer Reise aus Edinburgh mitgebracht hatte. Obwohl ich sehr vorsichtig war, riss beim Anlegen der Dessous ein wenig Haut an der Schulter. Ich betupfte die Stelle mit dem Öl der Aloe, das ich aus einem fleischigen Blatt dieser seltenen Pflanzen aus dem Repertoire meiner Lady schnitt – es floss heraus wie bitterer Honig. Obwohl Schminke verpönt war, da sie den natürlichen Teint einer Dame verunzierte und zudem Zeugnis war, dass ebenjene Dame wohl einen oder mehrere Makel zu verbergen suchte, denen auch kein Schönheitspflaster mehr Abhilfe leisten konnte, tupfte ich meiner Dame großzügig das Arsen auf ihre ohnehin perfekte Haut und puderte sie danach sogar noch sorgfältig ab. Ein unwissendes Auge hätte kaum etwas entdeckt von meinem Malheur. Ich holte ihr schönstes Dienstmädchenkleid aus glänzendem Lack aus dem Schrank, denn sie hätte in nichts anderem beigesetzt werden wollen. Der Lack knisterte im Gleichklang mit der fahlen Epidermis, während ich es ihr wie eine zweite Haut anlegte. Ich ebnete ihr bleiches, rundes Gesicht mit einer erneuten Schicht Puder, bis es so makellos war wie zu Lebzeiten. Da ihre Augäpfel etwas eingesunken waren, gab ich silbrig schimmernde Schatten auf ihre Lider. Ich tupfte auf die kleinen, inzwischen bläulich verfärbten Lippen, ein wenig Rosé. Ich tuschte die Wimpern mit einem abgebrannten Zündholz über einen silbernen Esslöffel, um nicht die gepuderte Haut zu verunstalten und ihnen zudem etwas Schwung zu verleihen, bis sie lang und dicht auf den Wangen auflagen wie dunkle Nachfalterflügel. Ein wenig Rouge gab dem puppenähnlichen Gesicht etwas von seiner dezenten Lebendigkeit zurück. Schmuck hatte sie außer einem winzigen Triskel an einer dünnen Kette keinen besessen, und ich legte es ihr um. Zuletzt versuchte ich, ihre Hände übereinanderzulegen, doch als sie bei der geringsten Anstrengung vernehmlich knackten, ließ ich sie eiligst neben dem Körper gebettet liegen.

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