GLÄSERN (German Edition)
noch immer trug, und kam so über Seitenstraßen mit Fahrenden und Händlern schließlich zum Meer. Sie nächtigte lediglich in den Wäldern und, der Göttin sei Dank, nie griff ein wildes Tier sie an.
Oder Schlimmeres , dachte ich. Die Gefahr sind nicht immer die Tiere, aber sie war eben oftmals noch sehr naiv.
Die Grafentochter kam gut voran, hatte genügend Geld für die Überfahrt. Denn die einzige Zuflucht gab es nur im deutschen Norden, auf dem ehemaligen Gut ihres Vaters. Wohin hätte sie schon gekonnt …
Zu mir!, schrie ich innerlich heraus. Ich hätte dir geholfen, dich versteckt, bei meinem Freund, dem bestechlichen Barmann aus dem Ugly Frog! - doch … hätte ich das wirklich? Die endgültige Entscheidung zwischen dem Wohlwollen Lady Amaranths und der Freundschaft zu Eirwyn zu treffen, war eine Aufgabe, die zu lösen ich nicht imstande war. Meine Gedanken nahmen mich gefangen, Eirwyns Stimme klang nur noch dumpf zu mir durch. Seit Langem schon war ich mir unsicher, wessen Geistermär ich nun glauben sollte, ob sie nicht doch allesamt Ausgeburten diverser abenteuerlicher Fantasien waren. Doch war meine Lilie wirklich eine Fantastin? Womöglich? Kieran auf jeden Fall, wenn auch auf seine leicht übertriebene und angeberische Art. Ihm glaubte ich ohnehin kaum mehr die Hälfte, ebenso wie Lord Sandy, und auch bei Giniver war ich mir nicht mehr völlig sicher, was ihren Mitteilungsdrang mir gegenüber anbelangte. Es schien, die einzig klare und vom Wahnsinn verschonte Person war meine Herrin in ihrer Scharfsinnigkeit und ihrem Weitblick.
Ich schüttelte den verstörenden Nebel aus meinem Gehirn und versuchte, mich zu konzentrieren, indem ich Eirwyn, wie ich hoffte, in gutem Maße interessiert und teilnahmsvoll anstarrte.
… Schließlich erreichte sie nämlich das ehemalige Gut ihres Vaters. Es war völlig gepflegt und intakt und der steinalte Hausverwalter ein guter Mann. Er überließ ihr alles und wohnte noch bei ihr, bis er eines Nachts in seinen ewigen Schlaf fiel. Die Bediensteten blieben. Außerdem fand sie Sarastro, diese riesige Töle. Er gehörte dem Hausverwalter. Die beiden freundeten sich sofort an.
Sie stockte und ich schwieg, um ihre Gedanken nicht zu unterbrechen.
»Eines Tages dann bekamen wir Besuch von einer unscheinbaren Frau mit krummen Beinen«, sagte sie dann. »Ich hielt sie zuerst für eine Bäuerin, doch sie trug ein ledernes Köfferchen bei sich, so wie es die Ärzte manchmal haben. Eine meiner Bediensteten fettete mit mir gerade auf der Terrasse einige in Leder gebundene Bücher ein. Sie war zweifellos eine fahrende Händlerin. Wir waren schrecklich neugierig, was sie uns anbieten wollte. Wir luden sie sofort ein, sich zu uns zu setzen und sie öffnete ihr Köfferchen. Drei Etagen ließen sich wie Schmetterlingsflügel ausklappen und in ihnen schimmerten Kämme in den schönsten Mustern. Einer davon war mit Obsidianen und wundervollen – ich glaube Saphiren – verziert. Sie bemerkte meine Begeisterung für dieses Stück, nahm es heraus und steckte mir den Kamm ins Haar. Er hielt nicht sofort und da steckte sie ihn fester hinein, trieb ihn in meinen Kopf, bis er mir tief in die Kopfhaut stach. Ich schrie auf, doch sie lächelte mich so liebevoll an, dass ich ihr nicht böse sein konnte. Meine Bedienstete bewunderte das Schmuckstück und die Händlerin hielt mir einen kleinen Spiegel hin. Frederick, er war so wunderschön! Doch mit einem Mal wurde mir schwarz vor Augen, es toste in meinen Ohren und ich sank sofort ohnmächtig in die Arme meiner Maid Servant.«
Ich konnte mir einen skeptischen Blick nicht verkneifen, nahm jedoch einen kräftigen Schluck aus der Flasche, als sie aufsah, sodass sie ihn nicht bemerkte.
»Sie erzählte mir später, dass die Fremde sich augenblicklich davongemacht hatte und im Wald verschwunden war. Rasch hatte sie den Kamm aus meinem Haar gezogen und mich noch auf der Terrasse hin gebettet. Es ging mir zwar bald wieder besser … nun, am selben Abend noch sah ich Sarastro im Garten tollen und entdeckte in der lockeren Erde, die der Gärtner kurz zuvor umgegraben hatte, den seltsamen und wunderschönen Kamm. Ich trat ihn mit meinem Stiefel tief in den Boden.«
Unverständig glotzte ich sie an. Und die Moral von der Geschichte? Kaufe nie Tand von fahrenden Krüppeln?
»Hör mir zu, Frederick, was mir dann in den folgenden zwei Tagen passiert ist. Und behandle alles, was ich dir hier erzähle, vertraulich, bitte. Keiner der anderen soll etwas
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