GLÄSERN (German Edition)
jedoch bräunlich verfärbt waren wie Herbstobst. Ich eilte ihr nach und bot ihr Unterschlupf gegen den nahenden Regenschauer an. Der Wind war inzwischen so stark, dass sich die Figuren im Garten bis zum Boden bogen. Eilig bat ich die Alte, einzutreten und sich aufzuwärmen. Sie wehrte sich beinahe dagegen und grinste mich von unten herauf verschämt an. Dichte Brauen ließen ihre Knopfaugen im Schatten verschwinden, die Nase war dick, voller Leberflecke. Ein fleischiges Kinn und breite Wangen gaben ihr etwas Bäuerliches, aber auch Unheimliches. Und dennoch – trotz allem – konnte ich sie nicht hier draußen stehen lassen. Es ging einfach nicht. Sie sagte, sie wolle nur auf der Terrasse Schutz vor dem gröbsten Unwetter suchen und mir nicht zur Last fallen. In ihrem Mund waren zwar nur noch wenige kleine Zähne, jedoch so spitz, dass ich ihnen unbedingt fernzubleiben gedachte. Ich trat zurück und mit einem Male lächelte sie mir beinahe mütterlich zu. Ihr Gesicht wirkte warm und freundlich und ich schämte mich sehr für mein ungerechtes Vorurteil. Sie legte den Kopf neckisch schief, griff mit verdrehtem Arm nach hinten in ihren Korb und hielt mir plötzlich einen wundervollen Apfel entgegen. Er glänzte wie ein Rubin und trotz des Sturmes roch ich sein saftiges, süßes Aroma.
›Nehmen Sie diesen Apfel, junge Dame. Für Ihre Freundlichkeit‹, sagte sie. Der Wind peitschte ihr dünnes Haar wie Blindschleichen um ihren Kopf und ich sah kaum, wie die Alte meine Hand nahm, die Frucht hineinlegte und meine Finger fest um sie schloss. Ich wollte ihn nicht ohne Bezahlung annehmen, doch sie stritt zornig mit mir, stapfte beleidigt die Stufen wieder hinab und verschwand auf der Straße, als hätte der Wind sie mit sich fortgenommen. Die Frucht in meiner Hand wog so schwer und roch so lieblich. Ich biss sogleich herzhaft hinein. Mir ist unklar, warum ich das tat, Fred. Es war, als wäre ich süchtig danach, diesen Apfel zu essen. Er war köstlich! Doch, noch ehe ich den nächsten Bissen nehmen konnte, floss der zuvor süße Saft bitter meinen Hals hinab. Ich musste furchtbar husten und mit einem Mal rutschte ein kleines Stück Apfel tief in meinen Hals, als hätte die Alte es mit ihren runzeligen Fingern hineingestoßen. Ärgerlich würgte ich, versuchte zu husten, doch es ging nicht. Der Apfel steckte zu tief und verweigerte mir das Atmen. Ich versuchte verzweifelt, nochmals zu würgen. Wieder wurde mir schwarz vor Augen. Ich wollte mich am Türklopfer festhalten, doch der Sturm warf mich hart zu Boden, wo ich schließlich mit schmerzhaften Gliedern lag und nicht einen Atemzug mehr tun konnte. Ich spürte, dass ich mir die Arme und Beine irgendwie verdreht hatte, sie schmerzten wie wahnsinnig. Etwas strömte sauer meine Kehle hinab; es schien mir beinahe, als wäre ich wach, vollkommen bei Sinnen. Ich sah, wie meine Bedienstete mich bei ihrer Rückkehr auf dem Boden entdeckte. Ich hörte die gellende Klage der Maiden und erkannte deren bleiche Gesichter. Und ich roch noch immer den süßen Duft des Apfels, dessen Saft mich gerade aus der Welt geholt hatte. Ich begriff jedoch, dass ich nicht tot war. Noch fühlte ich meinen Herzschlag, sehr schwach jedoch. Ich atmete kaum noch, meine Brust hob sich so zaghaft, unsichtbar für die Umstehenden, wie ich vermute. Verzweifelt versuchte ich ihnen zu zeigen, dass ich noch lebte, doch weder hörten sie mich, noch sahen sie meinen inneren Kampf. Sie befühlten mich lange, riefen meinen Namen, schüttelten mich schließlich brutal. Dann beschlossen sie, dass ich nicht mehr lebte. Mein Main Servant befand es für unerträglich, mich in das Dorf oder gar die nächste Stadt zu bringen bei diesem Wetter, und schlug stattdessen vor, mich in Bälde auf meinem Lieblingsplatz im Wald zu bestatten. Die anderen sechs stimmten dem zu. So setzten sie einen wunderschönen Sarg aus allerlei Glasfragmenten zusammen. Warum sie unbedingt Glas nehmen wollten, erklärten sie mir später.«
Damit sie dich sehen konnten in deiner letzten Stätte. Und deine Schönheit nicht in Vergessenheit geriet. Und weil Holz trotz des nahen Waldes eher rar und daher nur schwer im Winter zu entbehren war. Da nimmt man eben, was man hat.
»Sie betteten mich auf meine besten Kissen und Laken …«
Sehr anständig, wie ich fand.
»… hievten mich auf einen der Karren …«
Nun …
»… und transportierten mich im Schneesturm in die verwischten Schemen des Waldes. Sie fanden schnell meinen schönsten Platz
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