GLÄSERN (German Edition)
sie dort und atmete ihren feinen Duft ein. Sie zitterte leicht, ich legte meinen Arm um sie.
»Eirwyn«, hob ich vorsichtig an. Ich beschloss, jetzt gleich mit allem herauszurücken. »Lord Sandford und ich sind anfangs gemeinsam gereist, wie er dir sicher schon erzählte. Ich überbringe dir also dieselbe Bitte, deinem Vater in seiner Krankheit beizustehen. Es geht ihm sehr schlecht. Lady Amaranth tut alles, um ihm Linderung zu verschaffen. Doch ich fürchte, er verfällt langsam dem Wahnsinn.«
Sie sah mich nun durchdringend an. Doch irgendwie auch mit Unglauben im Blick, als würde ich wirr reden.
»Wie versucht sie denn, sein Leiden zu lindern?«, fragte sie ungewohnt scharf.
Ich zögerte etwas zu lang. »Mit Kräutern, pflanzlichen Säften, zerstoßenen Wurzeln, all so was. Sie nutzt eben die Medizin aus der Natur. Was hast du denn?«
Sie wandte ihr Gesicht gen Himmel. Mondlicht spiegelte sich gläsern in ihren hellen Augen. »Frederick, nicht alle Pflanzen enthalten Heilkräfte.«
Ich wollte sie stoppen, ihr sagen, dass sie aufhören sollte, den düsteren Verschwörungen des Jägers gegen die Lady zu folgen. Doch etwas in ihrer Stimme ließ mich innerlich schaudern und so trank ich lieber und hörte ihr einfach zu.
»Viele Pflanzen enthalten auch tödliche Säfte, Frederick, und Blütenstaub, der nur in bestimmten Mengen schmerzlindernd sein kann«, erklärte sie langsam. »Auch Pilze, Knollen, Wurzeln und Beeren – sie können durchaus einen Menschen lähmen, ihn delirieren lassen, und führen auf den unterschiedlichsten Arten nicht nur zur Genesung, sondern auch zum Tod. Manchmal geht es schnell und man wacht einfach nicht mehr auf. Und manchmal dauert der Todeskampf sehr, sehr lange. Die Holunderbeere beispielsweise enthält Zyanid, Rhododendron lähmt dich, einzelne Oleanderblätter töten sogar einen starken Mann, ebenso Tee aus der Wurzel der Butterblume. Die Natur ist lange schon die beste Freundin der sensibilisierten Frau, Frederick, doch sie kennt auch alle ihre Gifte.«
Und dann erzählte sie mir eine Geschichte fernab jeder Schauergeschichte. Sie trank einen großen Schluck aus der Weinflasche, ihre Augen versenkten sich in meinen, sodass ich ihrem Blick kaum standhalten konnte.
»Es ist an der Zeit, dass du etwas klarer siehst, mein Guter. Es ist nicht immer alles so, wie es dir erscheint und wie man es dir versucht, einzureden. Meine Flucht durch den Wilden Wald damals dauerte nur wenige Stunden. Wie wahnsinnig rannte ich vor dem Vermummten davon, der mich töten sollte, wie ich heute weiß.«
Der dich ausweiden sollte, meinst du wohl , dachte ich. Dennoch, ich bemühte mich, entsetzt und überrascht zu wirken, und ich finde, es gelang mir meisterlich, denn sie nickte todernst.
»Die Äste ritzten mir meine Haut an Armen und Gesicht auf. Ich blieb ständig an Wurzeln hängen, schlug mich an ihnen grün und blau.« Sie sprach langsam, hob das kleine Gesicht. Und dann formten ihre Worte Bilder wie aus Nebelschwaden, die vor meinen trüben Augen trieben und mir Folgendes berichteten:
Sie musste wie eine Bettlerin ausgesehen haben, in ihrem einstmals festlichen Kleid, nur mehr eine zerrissene Kutte. Ob sie tatsächlich diese seltsamen deformierten Waldkreaturen beobachteten, die gewöhnlich im Wilden Wald wohnen, konnte sie nicht mehr sagen; jedenfalls zeigten sie sich ihr nicht. Erst bei den letzten verfaulenden Bäumen am Rande des Waldes blieb sie stehen. Es dauerte einige Zeit, in der sie erschüttert und erschöpft den Mond betrachtete, dann hemmungslos weinte – vor Wut auf den Vater und die Mutter, diese – und das sind ihre Worte! – narzisstische Hexe. Aus Panik vor dem Mörder, der für die Lady ihre eigene Tochter ausweiden sollte. Dann fiel ihr auf, dass er ihr nicht weiter gefolgt war. Erleichterte Ohnmacht überkam sie und sie sank nieder in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Als sie erwachte, ging der Mond gerade schlafen.
»Töte sie!«, befahl sie ihm mit sterbender Stimme, doch er hörte sie nicht mehr. Hastig raffte sie den verbliebenen Stoff um sich und machte sich auf den steilen Weg in das Dorf. Ihre Schneiderin, Madame Oonagh, übergab ihr nach dem anfänglichen Schock ein Reisekleid. Eirwyn war überaus dankbar für die Verschwiegenheit der alten Dame. Manche munkelten, sie hätte keine Zunge mehr. Vielleicht war sie aber auch nur gleichgültig gegenüber dem Geschwätz von allem und jedem, wer weiß das schon. Eirwyn verkaufte den verbliebenen Schmuck, den sie
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