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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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auf der Lichtung, wo die alte Weide steht. Sie schickten nach meinem Vater, erhielten jedoch nie eine Antwort aus Schottland.«
    Mit Sicherheit war diese Nachricht gerade über die Schwelle des Hauses Waldeck gelangt, als neues Feuerholz angeliefert wurde. Und dort hatte er den Kamin meiner Herrin nicht mehr verlassen.
    »Noch etwas.« Sie mied meinen Blick und ich wappnete mich innerlich gegen alles Mögliche. »Kieran war nicht ganz ehrlich zu dir.«
    Ach, sieh an!
    »Er kam wenige Tage nach meinem … Tod … an. Er besuchte meine Grabstätte und ich dachte, er wäre im Auftrag meines Vaters hier. Die beiden waren immer so gute Freunde, Frederick. Damals wusste ich nichts von dieser seltsamen Krankheit und …«
    … Kierans geheimen Auftrag, im Namen der Lady Grafentöchter zu metzeln.
    »Er war mir gleich nach meiner Flucht gefolgt, hatte mich nie aus den Augen verloren. Dort, an meinem Sarg, brach er völlig zusammen. Ich ertrug es nicht, ihn so zu sehen! Es hätte mir das Herz gebrochen, wäre das noch möglich gewesen. Allein eine einzelne Träne rollte mir über die Wange. Doch niemand sah sie! Frederick, niemand sah sie! Ich starb noch einmal innerlich. Er verließ mich bei Anbruch der Nacht. Er gab meinen Servants Bescheid, dass er sich aufmachen müsste, um Hilfe zu suchen, egal wo und wessen. Nur die Tiere betrachteten mich neugierig. Ich war wieder allein, vielleicht für immer. Wer wusste das schon?«
    Nach einiger Zeit jedoch witterten einige unter den Waldtieren, was sich in dem Glas befand. Und zwar Fleisch. Grünzeug ist eben nicht jedermanns Passion.
    »Als die ersten Dachse begannen, zuerst zaghaft mit den Krallen an dem Glas zu kratzen, dachte – hoffte – ich, mein Herz rase vor Angst. Um ein Lebenszeichen von mir zu geben und sie vielleicht – hoffentlich – zu verjagen. Ich wurde beinahe wahnsinnig vor Angst, als irgendwann, nach einer Ewigkeit!, die größeren Tiere begannen, mit den Köpfen gegen die eingefassten Glasfragmente zu stoßen und dann einige Wölfe …« Sie stockte erneut und ich genehmigte ihr den Moment, auch wenn es allzu spannend war, wie es weitergehen sollte.
    »Wölfe schlichen sich an. Baummarder schlängelten sich wie Nattern aus dem Gebüsch heran und sogar Füchse, um mit allem, was sie hatten, dagegenzutreten. Innerlich schrie ich um mein Leben, doch drang natürlich kein Laut nach außen. Ein fetter Dachs war besonders hartnäckig und schon zeigten sich die ersten Risse an meinem Sarg. Nicht einmal die Augen konnte ich bewegen, nur spärlich und wie durch Nebel nahm ich wahr, was sie da taten. Die erste kleine Glasplatte schob sich bald nach innen und schnitt mir den Ellbogen auf. Es dauerte nicht lang, bis sich die Nager unter ihnen, Wiesel und anderes ekelhaftes Getier, einen Weg zu mir hinein geschaffen hatten. Der ganze Sarg knirschte und stürzte nach weiteren Tritten endgültig in sich zusammen.« Ihre Unterlippe zitterte und sie vergrub schnell das Gesicht in den Händen. Ich legte meinen Arm fester um sie. »Glasstaub rieselte auf mich hinab und legte sich scharf auf meine Haut. Sie schnüffelten an mir, leckten mir das Blut ab. Erst bissen sie mich leicht in die Finger und die Hand. Als sie merkten, dass ich blutete, kratzten und bissen sie weiter an mir herum. Ich ertrug den wahnsinnigen Schmerz nicht, Frederick. Sie fraßen mich bei lebendigem Leibe!«
    Ich verstand nicht sonderlich viel, doch das ist nur logisch bei ihren undeutlichen, geschluchzten Worten. Um dem neugierigen Leser hier bestmöglich Bericht erstatten zu können, nahm ich ihre Hände in die meine, um ihren Worten Klarheit zu verleihen, doch sie vergrub ihr Gesicht an meiner Brust. Ich spürte die Nässe der Tränen durch mein Hemd sickern und hoffte inständig auf lediglich Tränen.
    »Doch ich erkannte, was um mich herum geschah. Ein besonders großer Dachs schob sich von hinten durch die Fellleiber zu mir hindurch, grub seine Fänge in meine Seite und zerrte mich ruckweise durch die zertretenen Scherben, sodass ich teilweise auf dem erdigen Boden lag, um auch ein kleines Stück von mir zu ergattern. Mein Körper verdrehte sich, erneut schnitt mir ein zerschlagenes Glasstück in die Haut. Es war so grotesk. Ich schloss mit allem ab. Entkräftet erkannte ich, dass es hier keine Gnade für mich geben konnte, und ergab mich der Verzweiflung und dem unbändigen Schmerz und hoffte auf ein wenig Milde, dass mir bald auch die verbliebenen Sinne schwinden würden.
    Und dann kam der Reiter.

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