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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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geschwellter Brust abzuwarten. Schließlich folgte ich ihm als Erster zögernd, da ich nicht wusste, was sonst von mir als Valet erwartet wurde. Sogleich kam Kieran mir nach, trotz der Empfehlung Eirwyns, doch kurz zu warten, bis Sandford zurückkehren sollte. Schließlich hatte der Lord keine ausdrückliche Einladung ausgesprochen.
    Lord Sandy verschwand inzwischen durch das riesige Eingangsportal, das aus dickem dunklem Holz bestand und mit Nieten und Bändern aus Eisen beschlagen war. Wieder erinnerte mich sein ganzes Auftreten, wie er da vor mir herging in seinem dicken Fellmantel und den ledernen geschnürten Hosen, an die lange vergangene Zeit des finsteren Mittelalters, das Schloss sein absolutes Spiegelbild, und ganz und gar aus schwarzem Stein gebaut, wie ich nun erkennen konnte. Hinter dieser Tür befand sich nichts als Dunkelheit. In meinem Rücken verbot Kieran seiner Geliebten gerade, ebenfalls das angsteinflößende Gemäuer zu betreten. Sie lehnte sich zwar eine Weile bestimmt gegen ihn auf, blieb jedoch trotzdem zurück, nicht, ohne noch einen tiefen Kuss auf seine Lippen zu pressen, versteht sich. Ich warf einen verzweifelten Blick zurück und öffnete die knarrende Tür erneut, die mir der plötzlich aufbrausende, brachiale Wind vor der Nase zugeworfen hatte. Der Jäger folgte mir zügigen Schrittes und wehenden Gehrockes, und wir ergaben uns beide den Fängen der Finsternis.

Im Delirium 01: Einstieg ins Dunkel

    Angst ist etwas sehr Nützliches, habe ich einmal gelesen. Sie lässt uns unsere Sinne verzehnfachen, in weniger als einem Augenblick. Zwar kann sie den einzelnen Charakter schwächen und ihn angreifbar machen, indem sie ihn in unbedachte Panik versetzt, manchmal gar bewegungsunfähig macht, dennoch liegt es im Bereich des Möglichen, in einer furchterregenden Lage ungeahnte psychische oder körperliche Kräfte zu entfesseln oder gar erst zu entwickeln.
    Wie ich aus Büchern weiß, soll das Bilden der sogenannten Gänsehaut in Angstsituationen in eine Zeit zurückversetzen, in der wir noch deutlich behaarter waren. Somit stellte sich angesichts eines erschreckenden Feindbildes das Fell am gesamten Körper auf und man wirkte dadurch furchterregender auf seinen Angreifer. Eine nette Farce, wenn ich länger darüber nachdenke. Zudem bin ich ja auch kein Naturwissenschaftler.
    Wir empfinden eine Form von Angst, wenn uns etwas oder jemand bedrohlich gesinnt ist, wie ein starkes (wenn auch nicht sehr dickes) Seil um die eigene Brust. Es kann immerhin jederzeit gesprengt werden, wenn man es nur genügend spannt …
    Sind wir in einer Situation, die lebensgefährlich und schier ausweglos erscheint, legt sich eine kalte Kette um uns, die keinen klaren Gedanken zulassen möchte. Befinden wir uns jedoch in einer Lage der absoluten verzweifelten Panik, fernab von simpler Furcht, so ist die Angst der kleine goldene Schlüssel zu purer Selbsterhaltung. Was man nicht so alles liest …
    Dennoch versuchte ich, mir jedes Wort in Erinnerung zu rufen, während wir durch die Dunkelheit schlichen. Ebenso wenig, wie ich ein lautes Geräusch verursachen wollte, lag es in meinem Interesse, Licht zu entzünden. Daher schob ich Kierans Hand fort von seinem Beutel, in dem er gerade nach Zündhölzern kramte. Diese Dunkelheit war beängstigend, doch ebenso wie der Totenvogel schlich sich das in Wales gefürchtete Phänomen der Totenkerze in mein Hirn. Ich erzählte Kieran von der canhywallan cyrth, deren Flamme zwar einer Kerzenflamme ähneln soll, jedoch stattdessen die Silhouette der dem Tod geweihten Person imitiert, sobald man sie entzündet. Obwohl Kieran mich skeptisch und leider auch wie einen Irren ansah, packte er die Hölzer in den Beutel zurück. Ich bin kein Freund von ignorierter Folklore. Selten kommt dabei etwas Gutes heraus. Noch seltener erweist sie sich als unwahr.
    Als sich meine Augen ein wenig an das Dunkel gewöhnt hatten, erkannte ich schnell, dass wir uns in einer gigantisch großen Halle befanden. Über uns verschwanden sowohl die lange schmale Treppe als auch die Decke des Raumes in absoluter Finsternis. Mittig stand ein langer, massiver Holztisch, umgeben von rustikalen und ebenfalls sehr großen Stühlen. Zwei leere Weinbecher aus Zinn ruhten umgekippt darauf. Ansonsten fanden sich hier nur einige wenige, spartanische Möbel aus dunklem Holz. In der Ferne klapperten irgendwo Lord Sandfords Schritte über kahlen steinernen Boden. Nicht ein Teppich lag aus, um einen Hauch Wärme zu erhalten.

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