GLÄSERN (German Edition)
verzweifelt auf der Suche nach etwas, das meine Aufmerksamkeit für diesen peinlichen Moment fesseln konnte. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn entschlossenen Schrittes zu mir herüber kommen. Ich verspannte mich unwillkürlich, denn es würde mir sehr unangenehm werden, sollte er mich tatsächlich zu seiner eigenen Belustigung zur Rede stellen, doch er setzte sich nur neben mich und heftete den Blick in dieselbe Richtung wie ich.
»Machen wir uns nichts vor, Van Sade. Sie ist so viel besser als ich.«
Ich nickte weise. »Wie wahr. Aber sie will dich trotzdem. Weiß der alte Oakman, warum das so ist. Vielleicht kannst du ein Kunststück?«
Ich erhob mich und schlug ihm leicht auf die Schulter. Er stand ebenfalls auf, streckte vorsichtig den Rücken durch.
»Da hast du Recht«, grinste er schelmisch, und wir schlenderten hinab zu den anderen. Dort war gerade eine Diskussion im Gange. Soweit ich entnehmen konnte, wollte Lord Sandy noch einige Stunden Richtung Wales reisen, ehe wir Schottland erreichten. Die restliche Reisegruppe war dagegen, doch Sandy schien sich durchsetzen zu wollen. Kieran ging, mit erhobenem Kopf und nur mehr leicht steifen Bewegungen entschlossen dazwischen.
»Weshalb? Was gibt es denn dort so wahnsinnig Aufregendes? Musst du dich in deinem Herrenclub für die neueste Zeitung anmelden?«
Lord Sandy baute sich vor ihm auf und sofort schien die Luft vor Anspannung zu knistern. »Nein, mein Herr. Ich wohne dort und müsste, bevor wir nach Schottland weiterreisen, dringend etwas regeln.«
Kieran winkte ab. »Lässt sich das nicht umgehen?«
»Ich wüsste nicht, warum ich das mit dir besprechen sollte, Jäger, doch Lady Amaranth hat mir persönlich zugesichert, was auch immer ich …«
»Was auch immer. Genau. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann auf nach Wales!«, rief der Jäger laut und salutierte übertrieben, so gut er es vermochte. »Jeder Kopfgeldjäger der Lady ist auch unser Kopfgeldjäger!«
Zackig schritt er auf Eirwyn zu und schenkte ihr einen Handkuss durch das geöffnete Kutschenfenster, um sich selbst weder schwungvoll noch elegant ebenfalls in das Gefährt zu hieven.
Noch ehe auch ich mit meinem neu erworbenen Spiegel Platz nehmen konnte, hörte ich, wie Eirwyn ihm wütend etwas entgegenzischte, das weniger nach Kooperation, denn nach später erfolgender Bestrafung klang. Ich stieg ein und ließ mich in die harten Polster fallen.
Kieran blickte mich ungehalten an.
»Setz dich ruhig dazu, Frederick, wir haben auch nicht im Entferntesten Dinge zu besprechen«, sagte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
»Ach ja? Was denn so?«, fragte ich.
»Dinge!«
Ich bemerkte, dass nicht nur der Jäger mich ungehalten ansah, auch in Eirwyns Blick erkannte ich das Funkeln.
»Und wie stellst du dir vor, sollte sich die Weiterfahrt nach Hause – oh, welch Irrtum! – wie kürzlich neu geplant, in eines dieser inzuchtverseuchten walisischen Dörfer, gestalten? Nebenherlaufen etwa?«
»Auf einem der Kutschböcke wäre noch etwas Platz.«
Er sah mir mit seinen hellblauen Augen kalt entgegen. Wie schnell doch so ein einfaches Gemüt umschlagen konnte. Eirwyn legte ihm behutsam die Hand auf den Arm, doch Kieran schüttelte sie sacht, aber bestimmt ab.
»Nein, mein Herz. Er ist immer noch ein Bediensteter. Und zwar zudem einer deiner Mutter! Wenn wir etwas zu besprechen haben, sollte er nicht dabei sein, wie ich finde.«
So wurden also bereits Entscheidungen getroffen, die der Zustimmung der Grafentochter eindeutig nicht mehr bedurften. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen. Als Eirwyn mich dann noch bedauernd anblickte und den Kopf senkte, fühlte ich zum ersten Mal Wut gegen sie in mir aufsteigen. Nach allem, was ich für sie getan hatte, nach all den ungerechtfertigten Zweifeln an meiner Herrin und der Solidarität gegenüber Eirwyn als meiner Freundin, war ich beinahe ohnmächtig vor Enttäuschung, nun aus der warmen Kutsche verbannt zu werden.
»Gut. Wie du wünschst«, sagte ich und verbeugte mich knapp. »Und da ich weiß, dass man von mir keine Hinterfragung dulden wird, werde ich einfach auf dein Urteilsvermögen vertrauen, wenn es dir recht ist.«
Ohne sie noch einmal anzusehen, stabilisierte ich den Spiegel in der Kutsche und wandte mich um, um auf den harten, eiskalten Kutschbock zu steigen. Ich sah, wie Kieran eine Decke über den Spiegel warf, als ob er es wieder nicht ertragen konnte, dass seine spiegelnde Fläche ihn beobachtete. Wer wusste schon, wer noch alles
Weitere Kostenlose Bücher