GLÄSERN (German Edition)
Ich verlangsamte meinen Schritt und bald ging Kieran vor mir her. Er blickte mit seinen hellen Augen um sich, die eigenartig glänzten, wie eine innere Lichtquelle. Sein Atem hing wie sein eigener Geist vor ihm in der Luft und mir fiel auf, wie kalt es hier drin wirklich war. Es mochte sogar kälter sein, als draußen im eisigen Wintermorgen. Der Jäger schien etwas gehört zu haben und ruckte mit dem Kopf. Ich folgte seiner Bewegung. All die Möbelstücke in diesem Raum waren an die Wände geschoben und mit großen grauen Lumpen verhängt worden. Wir näherten uns ihnen und Kieran gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass ich mir ansehen sollte, was darunter verborgen lag. Natürlich ignorierte ich seinen Wink und er lüftete knurrend mit spitzen Fingern selbst eines der Tücher, das aus der Nähe eher aussah, wie ein eilig herabgerissenes, mit Wein bekleckertes Tischtuch. Jedoch befand sich nur eine Vitrine aus dickwandigen, kristallenen Gläsern darunter, bestückt mit kostbaren Vasen und Schalen. All dieser Zierrat sah indisch aus, zum Teil auch chinesisch und wie etwas, das ich in meinen Bildbänden über archäologische Gegenstände aus dem Rest der Welt gesehen hatte. Später las ich irgendetwas über mongolische Glasbläserkunst und das Einweben von Seelen in flüssiges Glas, was mir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch kein Begriff war.
Helleres Tageslicht fiel aus einem völlig unmöglichen Winkel in den Saal, was dem Staub, der über die Oberflächen einiger unverhängter Möbel tanzte, einen gespenstischen Schein verlieh. Wie eine scharfe Klinge schnitt es eine Schneise durch das Fastdunkel. Im Glas der letzten Vitrine spiegelte sich die blasse Sichel der Sonne, die ihr Gesicht scheu hinter Wolken verbarg. Kieran zog mich am Ärmel und wir liefen eilig durch einen Flur mit ebenfalls unendlich hoher Decke. Wie weit oben mussten sich wohl die Zimmer befinden? Der Flur schien auf eigenartige Weise einige der oberen Zimmer miteinander zu verbinden wie ein Rondell.
Plötzlich entdeckten wir vor uns den Schatten des Lords, der gerade schwungvoll eines der Tücher von einem Tischchen zerrte. Mit sagenhaftem Eifer bedeckte er geschickt den einzigen Spiegel an den Wänden. Er benötigte nicht mehr als einen Handgriff dazu. Dann hielt er inne, wandte sich hitzig um und starrte uns unter dichten schwarzen Brauen feindselig entgegen. In der einen Hand hielt er den Reisesack fest umklammert. Seine bleifarbenen Augen enthielten eine gewisse Destruktivität, die ich an ihm zuvor noch nicht ausgemacht hatte. Es war mit einem Male ein wenig zu still – selbst für ein einsames Schloss inmitten der walisischen Einöde. Weder mein Herz noch ein anderes schlug besonders laut, kein Wind rüttelte an den Fenstern. Es war schlicht zu still. Und darum ging es letztendlich auch.
Der Bart des Lords schimmerte in dieser Umgebung nun blau wie eine Kornblume, die der Pest anheimgefallen war. Hektisch machte er auf dem Absatz kehrt. Etwas rumpelte dabei und fiel ins Dunkel. Er eilte zu einer hohen schmalen Holztür am Ende des Flures, riss sie auf, verschwand dahinter und sie fiel mit einem ohrenbetäubenden Knall wieder ins Schloss. Wir hörten das metallische Klimpern, als er einen Schlüssel drehte. Dann entfernten sich seine Schritte schnell und waren bald verklungen.
Kieran und ich standen wie zwei gescholtene Kinder mitten in dem schmalen hohen Flur und wussten nichts mit uns anzufangen. Zaghaft schritt der Jäger auf die Tür zu und machte ein paar halbherzige Versuche, sie zu öffnen. Hilflos sah ich mich um. Hier, am Ende des Flures hatte sich zu meiner Linken ein kleiner runder Salon aufgetan. Zwei schmale gekrümmte Bücherwände mit einigen wenigen Büchern, ein kleiner Eisenofen mit eingedellter Tür, ein pompöser, leicht ramponierter Ohrensessel mit passendem Fußbänkchen und ein blankes rundes Holztischchen waren alles, was sich darin befand. Doch dann sah ich etwas unter der Tischplatte hervorlugen. Ich trat näher, Kinn und Hände angstvoll an die Brust gepresst. Langsam ging ich in die Hocke und fischte mit den Fingern darunter umher. Kein Atemzug drang zwischen meinen Lippen hervor, bis ich einen Schuh in der Hand hielt – einen Frauenschuh. Weißer und anthrazitfarbener Lack, mit höheren, nicht allzu schmalen Absätzen. Die Schnürung war aufgegangen und die weißen Bänder hingen wie schlaffe Würmer über meinen Handrücken herab. Ich drehte ihn eine Ewigkeit in der Hand, betrachtete ihn von jeder
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