GLÄSERN (German Edition)
mehr.
Im Inneren der Kutsche saß Kieran aufrecht und nahm die sanfte Stütze seiner Geliebten heute schon mit etwas mehr Würde an. Der Lord hatte das Angebot ausgeschlagen, in der Kutsche Platz zu nehmen und Eirwyn oder – Gott behüte – mir den Kutschbock zu überlassen, und sich erneut nach oben gezwängt.
Ohne zu pausieren, passierten wir im Morgengrauen die letzten dürren Bäume des eigenwilligen Waldes und die grellgrünen Laternen hüpften wie illuminierte Grillen über jede Unebenheit des Bodens. Die nachtschwarzen Zossen schnauften wie Ghoule und so heftig, dass ihr heißer Atem beinahe den morgendlichen Nebel verdrängte.
Später erreichten wir die Fähre. Ich bezahlte die Überfahrt mit dem Geld meiner Lady. Wir hatten beinahe das ganze Deck für uns, bis auf ein älteres Pärchen in groben Decken, das sich schlaftrunken nach Achtern zurückzog, jedoch eilig nach einem möglichst weit entfernten Platz Ausschau hielt, als Lord Sandy sich ihnen näherte, laut würgend, noch ehe wir auch nur abgelegt hatten.
Ich saß allein auf einer Bank. Der Wind zauste mein Haar und es machte mir nicht einmal etwas aus. Wie seit Tagen schon hing ich meinen Gedanken an Giniver nach, den Spiegel noch immer an mich gepresst. Auf der anderen Seite standen Kieran und Eirwyn eng umschlungen, wobei sie eher ihn stützte. Sie besprachen etwas mit ernsten Gesichtern und sie schmiegte sich an seine Brust. Ich sah, wie der Jäger die Augen schloss. Sogar er hatte seine Traumprinzessin gefunden, für wie lange auch immer das sein mochte, und ich versuchte, ihm sein Glück wenigstens etwas zu gönnen. Schweren Herzens zerrte ich das verknitterte Buch aus meiner Westentasche und widmete mich der Lektüre, um so für die kommenden Stunden zu vergessen und mich in meinen Kopf zurückzuziehen.
Wie im Fluge verging die Zeit auf dem stampfenden Dampfschiff und wir betraten bald wieder britisches Land. Ein Gefühl von Heimat lag in der Luft, doch Lord Sandy trieb uns zur Eile an, ehe wir es genießen konnten. Skeptisch beäugte er meinen neuen Geliebten, den Spiegel.
»Ist er nicht wunderschön?«, krakeelte ich und hielt ihm das gute Stück vor die Nase. Unwirsch schob er ihn beiseite und hinterließ einen schmierigen Abdruck darauf. Er war ungesund blass um die Nase. Mit gespielter Verlegenheit legte ich die Fingerspitzen an die Lippen.
»Hoppla! Ich vergaß Ihre Ablehnung gegenüber schönen Dingen. Verzeihung.«
Er knurrte mich an (ja, wie ein wundes Tier) und wandte sich brüsk ab. Wir legten noch einige Stunden Fahrt mit den Kutschen zurück, bis Eirwyn darum bat, pausieren zu dürfen. Auf einer kleinen Anhöhe machten wir Rast. Natürlich murrte der Lord während der gesamten Zeit wenig zurückhaltend.
Eirwyn und ihr Jäger stiegen zu einer eigenwilligen Anordnung von Gestein hinauf, verschwanden jedoch nicht völlig zwischen ein paar niedrigen Bäumchen. Ich folgte ihnen langsam und machte es mir auf einem glatten Fels in der frühen Wintersonne bequem, der vage die Form eines Sessels hatte. Ein wenig fühlte ich mich wie die verklärte Alice im realistisch veranlagten Wunderland zwischen den kleinen Bäumen, deren Kronen die Form von Pilzhüten nachahmten und dem seltsam silbrigen Licht der Sonne. Wehmütig blickte ich umher in diesem noch schläfrigen Land, in seiner Weite und Einsamkeit. Hier fehlte mir meine Freundin wie wahnsinnig.
Ein leiser Schrei ließ mich plötzlich aufhorchen. Ich wandte mich auf meinem Sitzstein um und erkannte zwischen den Birken, wie Kieran die Grafentochter mit seinem Körper gegen den rauen Stamm presste, beide Arme neben ihrem Gesicht um den Stamm gelegt. Ich sah von meiner Position aus nur seine breiten Schultern und wie sich ein schlankes Bein in rotem Strumpf lasziv um seine Hüfte schlang. Er küsste wohl gerade irgendetwas. Sie jedoch entzog sich seinen fordernden Lippen und umfasste sein Gesicht. Ich hörte sie etwas von ihrer baldigen gemeinsamen Zeit sagen. Sie küsste ihn noch einmal innig, löste sich aus seiner Umarmung und machte sich mit hüpfenden Schritten davon. Seine Augen tasteten zärtlich ihren Körper ab, als sie mit gerafftem Kleid den Hügel hinabstieg. Auf der Mitte der Anhöhe warf sie ihm noch eine verspielte Kusshand zu, um einen Wimpernschlag später in der Kutsche zu verschwinden.
Kieran senkte die Augen, und als er sie wieder aufschlug, blickten sie stahlblau direkt zu mir herüber. Hastig drehte ich mich um und starrte angestrengt in die Ferne,
Weitere Kostenlose Bücher