Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Blüte der Lebewelt, wurden zu Stammgästen des Hauses. Zu Schauspielerinnen in dem Stück, das sie spielte, nahm Esther Tullia, Florentine, Fanny Beaupré Florine, zwei Schauspielerinnen und zwei Tänzerinnen und schließlich Frau du Val-Noble an. Nichts ist trauriger als das Haus einer Kurtisane, wenn es das Salz der Rivalität, das Spiel der Toiletten und den Wechsel der Gesichter entbehren muß. In sechs Wochen wurde Esther zur geistreichsten, amüsantesten, schönsten und elegantesten Frau unter den weiblichen Parias, die die Klasse der ausgehaltenen Frauen bilden. Auf ihrem eigentlichen Piedestal kostete sie alle Genüsse der Eitelkeit aus, wie sie gewöhnliche Frauen verführen, aber als ein Wesen, das ein heimlicher Gedanke über seine Kaste erhob. In ihrem Herzen bewahrte sie ein Bild von sich selber, das sie zugleich erröten ließ und dessen sie sich rühmte; stets blieb sie sich der Stunde ihres Entsagens bewußt; und so führte sie ein Doppelleben, damit sie sich selbst bemitleiden konnte. Ihre Sarkasmen schmeckten nach der innern Stimmung, welche die tiefe Verachtung festhielt, die der in der Kurtisane verborgene Engel der Liebe jener gemeinen und verhaßten Rolle entgegenbrachte, die der Körper vor den Augen der Seele spielte. Sie war zugleich Zuschauer und Schauspieler, Richter und Angeklagter, und so machte sie die wundervolle Dichtung arabischer Märchen zur Wahrheit, die fast immer ein erhabenes Wesen in einer entarteten Hülle zeigen und deren Typus sich unter dem Namen Nebukadnezar im Buch der Bücher, in der Bibel, findet. Nachdem sie sich bis zum Tage nach der Untreue das Leben zugesprochen hatte, konnte sie sich als Opfer wohl ein wenig über den Henker lustig machen. Übrigens nahm die Aufklärung über die geheimen, schmählichen Mittel, denen der Baron sein ungeheures Vermögen verdankte, Esther jedes Bedenken; sie gefiel sich darin, die Rolle der Göttin Ate, der Rache, zu spielen, wie Carlos sagte. Daher war sie abwechselnd reizend und abscheulich gegen den Millionär, der nur noch für sie lebte. Wenn das Leiden des Barons dabei einen Grad erreichte, der ihm den Wunsch eingab, Esther zu verlassen, so führte sie ihn durch eine zärtliche Szene zu sich zurück.
Herrera, der seine Abreise nach Spanien zu einer sehr auffälligen gemacht hatte, ging nur bis Tours. Er hatte seinen Wagen bis Bordeaux weitergeschickt, indem er einen Diener darin ließ, der die Rolle des Herrn zu spielen und ihn in Bordeaux in einem Hotel zu erwarten hatte. Dann war er im Kostüm eines Handlungsreisenden umgekehrt, hatte sich heimlich bei Esther einlogiert und leitete von dort durch Asien, durch Europa und Paccard sorgfältig all seine Machenschaften, indem er alles, besonders aber Peyrade überwachte.
Etwa zwei Wochen vor dem für ihr Fest gewählten Tage – es sollte am Abend nach dem ersten Opernball stattfinden – saß die Kurtisane, die ihre Scherze furchtbar zu machen begannen, bei den Italienern tief in ihrer Parterreloge, die der Baron, als er sich gezwungen sah, ihr eine Loge zu mieten, gewählt hatte, um seine Geliebte dort zu verstecken und sich nicht, nur wenige Schritte von Frau von Nucingen entfernt, öffentlich mit ihr zu zeigen. Esther hatte sich ihre Loge so ausgesucht, daß sie die der Frau von Sérizy beobachten konnte; denn Lucien begleitete die Gräfin fast immer. Die arme Kurtisane fand ihr Glück darin, Lucien Dienstags, Donnerstags und Sonnabends an Frau von Sérizys Seite sehen zu können. An diesem Tage nun sah Esther Lucien gegen halb zehn Uhr mit sorgenvoller Stirne, blassem und fast fassungslosem Gesicht in die Loge der Gräfin eintreten. Diese Zeichen innerer Verzweiflung waren nur Esther sichtbar. Eine Frau, die einen Mann liebt, kennt sein Gesicht, wie ein Seemann das offene Meer kennt.
»Mein Gott, was kann er nur haben? ... Was ist geschehen? Sollte er jenen Höllenengel sprechen müssen, der für ihn ein Schutzengel ist und der in einer Mansarde zwischen der Europas und der Asiens verborgen lebt?«
Mit so grausamen Gedanken beschäftigt, vernahm Esther kaum noch etwas von der Musik. Man kann sich also leicht denken, daß sie dem Baron überhaupt nicht lauschte. Er hielt eine Hand seines Engels zwischen seinen beiden und sprach in seinem polnischen Judenjargon auf sie ein, dessen merkwürdige Silben dem, der sie liest, nicht weniger unangenehm sein werden, als sie dem waren, der sie anhörte.
»Esder,« sagte er, indem er ihre Hand losließ und mit leicht ungehaltener
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