Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
plötzlich durch das Auftreten einer Persönlichkeit, über die weder Carlos noch der Polizeipräfekt etwas vermochten. Plötzlich trat Corentin ein. Er hatte die Tür offen gefunden und wollte im Vorbeigehen sehen, wie sein alter Peyrade seine Nabobsrolle spielte. »Der Präfekt langweilt mich immer noch!« sagte Peyrade Corentin ins Ohr, »er hat mich als Nabob gefunden.« »Wir werden den Präfekten zu Fall bringen,« gab Corentin seinem Freunde flüsternd zurück.
Und nachdem er kühl gegrüßt hatte, begann er den Beamten heimtückisch zu beobachten.
»Bleiben Sie hier, bis ich wiederkomme; ich gehe auf die Präfektur,« sagte Carlos. »Wenn Sie mich nicht mehr sehen, so bedeutet das, daß Sie sich Ihre Laune weiterhin erlauben können.«
Nachdem er Peyrade diese Worte ins Ohr geflüstert hatte, um seiner Rolle in den Augen der Jungfer nicht zu schaden, ging Carlos davon, da ihm wenig daran gelegen war, unter dem Blick des neu Hinzugekommenen zu bleiben; denn er erkannte in ihm eine jener blonden, blauäugigen Naturen, die in ihrer Kaltblütigkeit furchtbar sind.
»Das ist der Beamte, den mir der Präfekt geschickt hat,« sagte Peyrade zu Corentin. »Das?« erwiderte Corentin. »Du hast dich hineinlegen lassen. Dieser Mensch hat drei Spiele Karten in den Schuhen, das sieht man an der Haltung des Fußes unterm Leder; und übrigens braucht ein Polizeibeamter sich nicht zu verkleiden!«
Corentin sprang eiligst die Treppe hinunter, um seinen Verdacht aufzuklären; Carlos stieg eben in den Wagen. »He, Herr Abbé?...« rief Corentin. Carlos wandte den Kopf, sah Corentin und stieg ein. Aber Corentin hatte noch Zeit, ihm durch den Wagenschlag nachzurufen: »Das wollte ich nur wissen... Quai Malaquais!« rief Corentin dem Kutscher zu, indem er in seinen Ton und seinen Blick einen Höllenhohn hineinlegte.
›Also,‹ sagte Jakob Collin bei sich selber, ›ich bin gar, sie haben mich; jetzt müssen wir sie durch Geschwindigkeit überflügeln und vor allem erfahren, was sie von uns wollen.‹
Corentin hatte den Abbé Carlos Herrera fünf- oder sechsmal gesehen, und der Blick dieses Menschen war nicht zu vergessen. Corentin hatte zuerst die breiten Schultern erkannt, dann die Geschwülste des Gesichts und den Betrug der drei Zoll, um die er sich durch eine Einlage in den Schuhen vergrößert hatte.
»Ah, mein Alter, man hat dich zum besten gehabt!« sagte Corentin, als er sah, daß nur noch Peyrade und Contenson im Schlafzimmer waren. »Wer?« rief Peyrade, dessen Stimme ein metallisches Schwirren annahm; »ich verwende meine letzten Tage dazu, ihn auf einen Rost zu bringen und darauf herumzudrehen.« »Es war der Abbé Carlos Herrera, wahrscheinlich der Corentin Spaniens. Alles wird klar. Der Spanier ist ein ausgefeimter Wüstling, der diesem jungen Manne zu Vermögen verhelfen wollte, indem er mit dem Bett eines hübschen Mädchens Geld münzte... Du mußt selber wissen, ob du mit einem Diplomaten Lanzen brechen willst, der mir verteufelt gerieben scheint.« »Oh!« rief Contenson, »der hat am Tage der Verhaftung Esthers die dreihunderttausend Franken in Empfang genommen; er saß im Fiaker! Ich entsinne mich dieser Augen, dieser Stirn, dieser Pockennarben.« »Ah, was für eine Mitgift hätte meine arme Lydia bekommen!« rief Peyrade. »Du kannst Nabob bleiben,« sagte Corentin. »Um ein Auge auf Esther zu haben, muß man sie mit der Val-Noble zusammenbringen; Esther war die Geliebte Lucien von Rubemprés.« »Nucingen haben sie schon mehr als fünfhunderttausend Franken ›geklemmt‹!« sagte Contenson. »Sie brauchen noch einmal soviel,« erwiderte Corentin, »die Ländereien von Rubempré kosten eine Million. Papa,« sagte er, indem er Peyrade auf die Schulter klopfte, »du kannst für Lydias Heirat mehr als hunderttausend Franken haben.« »Sag das nicht, Corentin. Wenn dein Plan fehlschlüge, ich weiß nicht, wozu ich da imstande wäre...« »Du wirst sie vielleicht schon übermorgen haben! Der Abbé, mein Lieber, ist schlau; wir müssen ihm die Klaue küssen, er ist ein Oberteufel; aber ich habe ihn, er ist ein Mann von Geist, er wird kapitulieren. Gib acht, daß du dumm bist wie ein Nabob, und fürchte nichts mehr.«
Den Abend dieses Tages, an dem sich die wirklichen Gegner auf ebenem Boden gegenüber gestanden hatten, sollte Lucien im Hotel Grandlieu verbringen. Es war zahlreiche Gesellschaft dort. Angesichts ihres ganzen Salons hielt die Herzogin Lucien eine Weile im Gespräch fest; sie war reizend
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