Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
fort, »ich will niemanden töten. Ich hatte eine Freundin, eine sehr glückliche Frau, sie ist gestorben, ich werde ihr folgen ... Das ist alles.« »Bist du dumm! ...« »Was willst du? Wir hatten es uns versprochen.« »Den Wechsel laß dir protestieren,« sagte die Freundin lächelnd. »Tu, was ich dir sage, und geh. Ich höre einen Wagen kommen; es ist Nucingen, ein Mensch, der vor Glück wahnsinnig werden wird! Er liebt mich ... Weshalb lieben wir nicht die, die uns lieben, denn schließlich tun sie alles, um uns zu gefallen.« »Ah,« sagte Frau du Val-Noble, »das ist die Geschichte des Herings, der der intrigenreichste aller Fische ist.« »Weshalb?« »Nun, man hat es nie in Erfahrung bringen können.« »Aber geh doch, mein Liebchen, ich muß um deine fünfzigtausend Franken bitten.« »Also, adieu.«
Seit drei Tagen hatte Esthers Wesen gegenüber dem Baron eine vollständige Wandlung erfahren. Der Affe war zur Katze geworden und die Katze zur Frau. Esther goß Schätze der Herzlichkeit über diesen Greis aus, sie zeigte sich reizend. Ihre Reden, die jeder Bosheit und jeder Bitterkeit bar waren und von zärtlichen Schmeicheleien überströmten, hatten den schwerfälligen Bankier mit der Überzeugung erfüllt, er sei geliebt, denn sie nannte ihn sogar Fritz.
»Mein armer Fritz,« sagte sie, »ich habe dich schwer geprüft, ich habe dich recht gefoltert; du bist wundervoll gewesen in deiner Geduld, du liebst mich, ich sehe es, und ich will dich belohnen. Du gefällst mir jetzt; ich weiß nicht, wie es gekommen ist, aber ich würde dich jetzt einem jungen Manne vorziehen. Vielleicht ist es die Wirkung der Erfahrung. Auf die Dauer merkt man schließlich, daß das Vergnügen das Vermögen der Seele ist, und es ist nicht schmeichelhafter, um des Vergnügens willen geliebt zu werden, als um seines Geldes willen ... Und dann sind die jungen Leute zu egoistisch, sie denken mehr an sich als an uns, während du, du nur an mich denkst. Ich bin dein ganzes Leben. Deshalb will ich auch nichts mehr von dir; ich will dir beweisen, wie uneigennützig ich bin.« »Ich hab Ihnen noch nix kekeben,« erwiderte der entzückte Baron; »ich kedenke Ihnen morgen traißigtausend Franken Rende ßu bringen ... Das ist main Hochßaitskeschenk.« Esther küßte Nucingen so reizend, daß er auch ohne Pillen erblaßte. »Oh,« sagte sie, »glauben Sie nicht, ich wäre der dreißigtausend Franken Rente wegen so; nur weil ich dich jetzt ... liebe, mein dicker Friedrich! ...« »O, main Kott, weshalb haben Sie mich keprieft ... ich wäre kewesen so klücklich seit drai Monaden ...« »Sind sie zu drei oder fünf Prozent, mein Liebling?« fragte Esther, indem sie Nucingen mit der Hand in die Haare fuhr und sie nach ihrer Laune ordnete. »Szu drai ... Ich hadde Mengen davon.«
Der Baron brachte also an diesem Morgen die Staatsschuldscheine; er kam, um mit seinem lieben kleinen Mädchen zu frühstücken und ihre Befehle für den folgenden Tag, den berühmten Sonnabend, den großen Tag, entgegenzunehmen. »Ta, maine glaine Frau, maine ainßige Frau,« sagte der Bankier, dessen Gesicht von Glück strahlte, freudig, »da haben Sie kenug, um fier den Nest Ihrer Dage die Güchenrechnung ßu peßahlen ...«
Esther nahm die Papiere ohne die geringste Erregung, faltete sie zusammen und legte sie in ihren Putztisch. »Nun sind Sie froh, Sie ungerechtes Ungeheuer,« sagte sie, indem sie Nucingen einen leichten Schlag auf die Wange versetzte, »daß ich endlich etwas von Ihnen annehme. Ich kann Ihnen nicht mehr die Wahrheit sagen, denn ich teile die Frucht dessen, was Sie Ihre Arbeit nennen ... Das ist kein Geschenk, mein armer Bursche, es ist eine Rückzahlung ... Kommen Sie, setzen Sie nicht Ihre Börsenmiene auf. Du weißt doch, daß ich dich liebe.« »Maine schöne Esder, main Liebesengel,« sagte der Bankier, »schbrechen Sie nicht mehr so mit mir ... Sehen Sie ... es wäre mir ekal, wenn mich auch die ganße Felt fier ainen Dieb hielte, wenn ich nur in Ihren Auken ain ehrlicher Mann bin ... Ich liebe Sie immer mehr.«
»Das ist mein Plan,« sagte Esther. »Deshalb werde ich dir auch nie wieder etwas sagen, was dir Kummer macht, mein Elefantenliebchen, denn du bist naiv geworden wie ein Kind ... Bei Gott, alter Verbrecher, du hast niemals Unschuld gekannt; die, die du mitbekommen hast, als du zur Welt kamst, mußte doch irgendwann einmal wieder an die Oberfläche steigen; aber sie war so tief versunken, daß sie erst nach siebzig Jahren wieder
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