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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ich will keine andere Ruhe mehr als die des Grabes! Und ich will sie in einem Kloster erwarten, wenn man mich der Aufnahme für würdig hält ...« »Arme Kleine! Sie haben lange Widerstand geleistet?« »Ja. Wenn Sie wüßten, unter was für verworfene Geschöpfe man mich gebracht hat ...« »Man hat Sie ohne Zweifel eingeschläfert?« »Ach, das ist es!« sagte die arme Lydia. »Noch ein wenig Kraft, und ich erreiche das Haus. Ich fühle, daß ich schwach werde, und meine Gedanken sind nicht sehr klar ... Eben glaubte ich, ich wäre in einem Garten ...«
    Corentin nahm Lydia auf die Arme, in denen sie ohnmächtig wurde, und trug sie die Treppe hinauf. »Katt!« rief er. Katt erschien und stieß einen Freudenruf aus. »Freuen Sie sich nicht übereilt!« sagte Corentin sentenziös; »das junge Mädchen ist sehr krank.«
    Als Lydia auf ihr Bett gelegt worden war, als sie beim Licht zweier Kerzen, die Katt entzündet hatte, ihr Zimmer erkannte, befiel sie das Delirium. Sie sang zu anmutigen Melodien Ritornelle und wiederholte dann gewisse scheußliche Worte, die sie gehört hatte. Ihr schönes Gesicht war mit violetten Tönen marmoriert. Sie mischte die Erinnerungen ihres so reinen Lebens unter die dieser zehn Tage der Gemeinheit. Katt weinte. Corentin ging im Zimmer auf und ab, indem er von Zeit zu Zeit stehen blieb, um Lydia anzusehen.
    »Sie zahlt für ihren Vater!« sagte er. »Sollte es eine Vorsehung geben? Oh, wie recht hatte ich, als ich keine Familie haben wollte ... Ein Kind, auf Ehre, das ist, ich weiß nicht welcher Philosoph es sagt, ein Unterpfand, das man dem Unglück gibt! ...«
    »Oh,« sagte das arme Kind, indem es sich aufsetzte und seine schönen Haare herabrollen ließ, »statt hier zu liegen, Katt, sollte ich auf dem Boden der Seine im Sande liegen ...« »Katt, statt zu weinen und Ihr Kind anzustarren, denn davon wird sie nicht gesund, sollten Sie einen Arzt holen, den vom Stadthaus zunächst, und dann die Herren Desplein und Bianchon ... Wir müssen dieses unschuldige Geschöpf retten ...« Und Corentin schrieb die Adressen der beiden berühmten Doktoren auf.
    In diesem Augenblick stieg ein Mensch die Treppe hinauf, dem alle Stufen vertraut waren; die Tür tat sich auf, und in Schweiß, mit violettem Gesicht, mit fast blutigen Augen, keuchend wie ein Delphin, sprang Peyrade in Lydias Zimmer und schrie: »Wo ist meine Tochter?«
    Er sah eine traurige Geste Corentins; Peyrades Blick folgte der Geste. Man kann Lydias Zustand nur mit dem einer Blume vergleichen, die ein Liebhaber liebevoll gepflegt hat, die von ihrem Stengel gefallen ist und die der eisenbeschlagene Schuh eines Bauern zertrat. Man übertrage dieses Bild in das Herz eines Vaters, und man wird begreifen, welchen Schlag Peyrade erhielt; dicke Tränen traten ihm in die Augen.
    »Es weint jemand: das ist mein Vater,« sagte das Kind. Lydia konnte ihren Vater noch erkennen; sie hob sich auf und warf sich dem Greis vor die Füße, als er eben in einen Sessel sank. »Vergib, Vater! ...« sagte sie mit einer Stimme, die Peyrade in ebendem Augenblick ins Herz drang, als er etwas wie einen Keulenschlag auf dem Schädel fühlte. »Ich sterbe ... Ach! die Schufte! ...« Das war sein letztes Wort.
    Corentin wollte seinen Freund stützen; er hörte nur seinen letzten Seufzer. ›Tod durch Gift! ...‹ sagte Corentin bei sich selber. »Ah, da kommt der Arzt,« rief er, als er das Geräusch eines Wagens hörte.
    Contenson, der, nachdem er sich seiner Mulattenfarbe entledigt hatte, eintrat, blieb wie in Bronze verwandelt stehen, als er Lydia sagen hörte: »Du vergibst mir nicht, Vater? ... Es ist nicht meine Schuld!«
    Sie merkte nicht, daß ihr Vater tot war. »Oh, was für Augen er mir macht!« sagte die arme Irre.
    »Wir müssen sie ihm zudrücken,« sagte Contenson, indem er Peyrade aufs Bett trug. »Wir machen eine Dummheit,« sagte Corentin, »wir müssen ihn in seine Wohnung hinübertragen, seine Tochter ist halb wahnsinnig; sie würde es ganz werden, wenn sie seinen Tod bemerkte, sie würde glauben, sie hätte ihn getötet.« Als Lydia ihren Vater forttragen sah, blieb sie stumpfsinnig stehen.
    »Da liegt mein einziger Freund! ...« sagte Corentin; er schien bewegt, als Peyrade in seinem Zimmer auf dem Bett ausgestreckt lag. »Er hatte in seinem ganzen Leben nur einen habsüchtigen Gedanken, und der galt seiner Tochter! ... Laß dir das als Beispiel dienen, Contenson. Jeder Stand hat seine Ehre. Peyrade hat unrecht daran getan, sich in

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