Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Jahre hindurch die Vorsehung der freigelassenen Sträflinge, ihr Führer, ihr Ratgeber und ihr Schatzmeister und daher Bibi-Lupins Gegner gewesen.
Obwohl er also in Einzelhaft genommen wurde, zählte er auf die verständnisvolle und absolute Ergebenheit Asiens, seines rechten Arms, und vielleicht auch Paccards, seines linken Arms;; denn er schmeichelte sich mit dem Gedanken, diesen sorgsamen Leutnant seinen Befehlen wieder gehorsam zu finden, sobald er nur die gestohlenen siebenhundertfünfzigtausend Franken in Sicherheit gebracht hätte. Das war der Grund der übermenschlichen Aufmerksamkeit, mit der er alles auf seinem Wege beachtete. Seltsam! Diese Hoffnung sollte sich vollkommen erfüllen.
Die beiden gewaltigen Mauern der Arcade Saint-Jean waren bis zu einer Höhe von sechs Fuß mit einer dauernden Schmutzschicht überkleidet, die aus den Spritzern der Gosse stammte; – die Fußgänger hatten damals, um sich vor dem unablässigen Hin und Her der Wagen und dem Spritzen der Karren zu schützen, nichts als die von den Radnaben seit langem angestoßenen Prellsteine. Mehr als einmal hatte dort die Karre eines Fuhrmanns unaufmerksame Leute totgefahren. So sah es lange Zeit in vielen Vierteln von Paris aus. Eine Einzelheit wird die Enge der Arkade vor Augen führen und erklären, wie leicht es war, sie zu sperren. Es brauchte nur ein Fiaker vom Richtplatz aus einbiegen zu wollen, während eine Gemüsehändlerin ihren kleinen Handwagen voller Apfel durch die Rue du Martroi schob, so veranlaßte schon ein dritter Wagen, der hinzukam, eine Stauung. Die Fußgänger brachten sich erschreckt in Sicherheit, indem sie einen Prellstein suchten, der sie vor den alten Radnaben sichern konnte, denn diese Radnaben waren damals so maßlos lang, daß es eines Gesetzes bedurfte, um sie kürzer zu machen.
Als also die Salatkutsche ankam, war die Arkade von einer jener Gemüsehändlerinnen versperrt, deren Typus um so merkwürdiger ist, als es von ihm noch heute, trotz der wachsenden Zahl der Obstläden, einige Exemplare in Paris gibt. Sie glich so sehr der Straßenhändlerin, daß selbst ein Schutzmann, wenn diese Einrichtung damals schon getroffen gewesen wäre, sie trotz ihrer unheimlichen Physiognomie, die das Verbrechen verriet, hätte umherziehen lassen, ohne nach ihrem Gewerbeschein zu fragen. Der Kopf, der mit einem scheußlichen, zerfetzten baumwollenen Taschentuch bedeckt war, starrte von rebellischen Strähnen, deren Haare den Borsten des Wildschweins glichen. Der rote, faltige Hals erweckte Grauen, und das Brusttuch verdeckte eine von der Sonne, dem Staub und dem Schmutz gebräunte Haut nicht völlig. Das Kleid war wie ein Teppich. Die Schuhe schnitten Grimassen, daß man glauben konnte, sie machten sich über das Gesicht lustig, das ebenso große Löcher aufwies wie das Kleid, Und ein Brustlatz! ... Ein Pflaster wäre weniger schmutzig gewesen. Auf zehn Schritte mußte dieser wandelnde, übelriechende Lumpen den Geruchssinn empfindlicher Leute beleidigen. Die Hände hatten hundert Ernten hinter sich! Entweder kam diese Frau von einem Hexensabbat her oder aus einem Bettlergefängnis. Und was für Blicke erst! Was für eine verwegene Intelligenz, welches verhaltene Leben, als sich die magnetischen Strahlen ihrer Augen und derer Jakob Collins begegneten, um einen Gedanken auszutauschen.
»Platz da, altes Lausspital!« rief der Postillion mit heiserer Stimme. »Willst mich wohl gleich zermalmen, du Henkershusar!« erwiderte sie; »deine Ware ist nicht soviel wert als meine!« Und indem die Händlerin versuchte, sich zwischen zwei Prellsteine zu drücken, damit der Wagen passieren konnte, versperrte sie den Weg genau so lange, wie sie brauchte, um ihren Plan auszuführen. ›O Asien!...‹ sagte Jakob Collin bei sich selber, denn er erkannte seine Helferin auf der Stelle; ›dann geht alles gut.‹
Der Postillion tauschte immer noch Liebenswürdigkeiten mit Asien aus, und die Wagen sammelten sich in der Rue du Martroi.
»Ahe! ... Pecaire fermati. Souni là. Vedrem! ...« rief die Alte in jenem wilden Tonfall, wie er den Straßenhändlerinnen eigen ist; sie entstellen ihre Worte so sehr, daß sie zu Tonmalereien werden, wie nur Pariser sie verstehen.
Im Wirrwarr der Straße und unter dem Geschrei aller Kutscher, die mittlerweile warteten, achtete niemand auf diesen wilden Ruf, der von der Händlerin auszugehen schien. Aber die Laute, die Jakob Collin deutlich hörte, warfen ihm in einem verabredeten Dialekt, der aus
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