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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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korrumpiertem Italienisch und Provenzalisch bestand, diesen furchtbaren Satz ins Ohr: »Dein armer Kleiner ist gefangen; aber ich bin da, um über euch zu wachen. Du wirst mich wiedersehen ...«
    Mitten in der unendlichen Freude, die ihm sein Triumph über die Justiz einflößte, denn er hoffte jetzt, mit der Außenwelt in Verbindung bleiben zu können, traf Jakob Collin ein Rückschlag, der jeden anderen als ihn getötet hätte. ›Lucien verhaftet!‹ ... sagte er bei sich selber. Und er wäre fast ohnmächtig geworden. Diese Nachricht war für ihn furchtbarer als eine Abweisung der eingelegten Revision, wenn er zum Tode verurteilt gewesen wäre. Jetzt, wo die beiden Salatkutschen über die Kais rollen, erfordert das Interesse dieser Geschichte ein paar Worte über die Conciergerie, die die Zeit ausfüllen werden, bis sie sie erreichen.
    Die Conciergerie, ein historischer Name, ein furchtbares Wort, doch als Ding noch furchtbarer, ist eng verknüpft mit den französischen Revolutionen und vor allem mit denen von Paris. Sie hat die meisten der großen Verbrecher beherbergt. Wenn sie von allen Pariser Baudenkmälern das interessanteste ist, so ist sie auch das unbekannteste – wenigstens für die, die den oberen Klassen der Gesellschaft angehören; aber trotz des gewaltigen Interesses dieser historischen Abschweifung soll sie ebenso rasch vor sich gehen, wie die Salatkutschen fahren.
    Wo wäre der Pariser, der Fremde oder der Provinziale, wenn sie auch nur zwei Tage in Paris gewesen sind, der nicht die schwarzen Gemäuer gesehen hätte, die von den drei starken Türmen mit den Spitzdächern flankiert werden, von denen zwei paarweise dicht nebeneinander stehen: jenen düstern und geheimnisvollen Schmuck des Quai des Lunettes? Dieser Kai beginnt am Fuß des Pont au Change und erstreckt sich bis zum Pont Neuf. Ein viereckiger Turm, genannt der Uhrturm, von dem herab das Signal der Bartholomäusnacht gegeben wurde, ein Turm, der fast ebenso hoch ist wie der von Saint-Jacques-la-Boucherie, markiert den Justizpalast und bildet die Ecke dieses Kais. Diese vier Türme, diese Mauern sind mit jenem schwärzlichen Leichentuch überkleidet, wie es in Paris alle nach Norden gerichteten Fassaden annehmen. Etwa in der Mitte des Kais beginnen mit einer engen Arkade die geheimen Bauten, deren Lage die Errichtung des Pont-Neuf unter Heinrich IV. bestimmte. Die Place Royale war nur eine Wiederholung der Place Dauphine. Es ist dasselbe Architektursystem, Ziegelstein mit Rahmen aus verzahnten Quadern. Diese Arkade und die Rue de Harlay bezeichnen im Westen die Grenzen des Palastes. Ehemals hing die Polizeipräfektur, das Hotel der ersten Parlamentspräsidenten, mit dem Palast zusammen. Die Oberrechnungskammer und das Obersteuergericht ergänzten dort die höchste Rechtsprechung, die des Souveräns. Man sieht, daß vor der Revolution der Justizpalast jene Abgeschlossenheit hatte, die man heute herzustellen sucht.
    Dieses Viereck, diese Insel von Häusern und Monumenten, auf der sich die Sainte-Chapelle befindet, das herrlichste Juwel im Schmuckkästchen des heiligen Ludwig, dieser Raum ist das Heiligtum von Paris; er ist der geweihte Platz, seine Bundeslade. Und anfangs war dieser Raum für sich allein die ganze Stadt, denn das Gebiet der Place Dauphine war eine Wiese, die zum Krongut gehörte; dort befand sich ein Walzwerk, wo Geld geprägt wurde. Daher der Name der Rue de la Monnaie für die Straße, die zum Pont Neuf führt. Daher auch der Name des einen der drei runden Türme, des zweiten, der die Tour d'Argent heißt; und dieser Name scheint zu beweisen, daß man zuerst in ihm das Geld geprägt hat. Das berühmte Walzwerk, das man auf den alten Plänen von Paris sieht, wäre demnach wahrscheinlich später erbaut, als man nicht mehr im Palast selber prägte, und vermutlich verdankte es sein Entstehen einer Vervollkommnung in der Kunst der Münze. Der erste Turm, der sich fast an die Tour d'Argent anlehnt, heißt die Tour de Montgomery. Der dritte, der kleinste, aber am besten erhaltene von den dreien, denn er hat auch seine Zinnen bewahrt, heißt die Tour Bonbec. Die Sainte-Chapelle und diese vier Türme – einschließlich des Uhrturmes – umschreiben ausgezeichnet den Umriß, den Perimeter, wie ein Katasterbeamter sagen würde, des Palastes von der Zeit der Merowinger an bis zum ersten Hause von Valois; aber für uns stellt dieser Palast infolge seiner Umwandlungen des genauern die Epoche des heiligen Ludwig dar.
    Karl V.

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